Mittwoch, 28. November 2007

Liebesbrief


Lieber Arthur,

nach der Lektüre kannst Du auch diesen Brief in Deinem postmodernen Schuhkarton ablegen, denn trotz allem ist es ein Liebesbrief. Der letzte. Jedenfalls von mir. Du rufst jeden Tag zwanzig Mal an, doch ich nehme nicht ab. Ich will nicht telefonieren. Mit niemandem, nicht mal mit Lulu. Und schon gar nicht mit Dir. Sie hat mir natürlich erzählt, dass Du nach mir suchst – sogar im Aquarium und wahrscheinlich auch an Orten, die ich gar nicht kenne. Aber das ist sinnlos. Wirklich. Es ergibt keinen Sinn, jemanden zu suchen, der nicht gefunden werden will. Und ich will nicht gefunden werden. Ich verstecke mich, ich verkrieche mich wie eine Schlange in ihrer Höhle, weil ich es nicht ertragen kann, Dich zu sehen. Ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, wir hätten uns das alles gegenseitig erspart. Ich wünschte, ich würde Dich nicht lieben.

Seit Wochen schlafe ich nicht mehr. Doch obwohl ich immer gern neben Dir gelegen habe, weiß ich jetzt, dass es mir nicht gut tut. Ich dachte, was sich so gut anfühlt, muss auch gut sein – aber das ist falsch. Das Leben mit Dir macht mich allmählich krank. Chronisch krank. Du weißt, ich brauche das Alleinsein, jedenfalls manchmal, ich brauche die Freiheit, die ich auch Dir zugestehe. Das ist nicht das Problem. Ich könnte sogar damit leben, dass Du regelmäßig flüchtest, panisch flüchtest, wenn ich Dich lieber bei mir hätte. In einem Tretboot auf der Spree, zum Beispiel. Eine Stimme, die spätestens seit Deinem spurlosen Verschwinden ins Gelobte Land immer lauter geworden ist und auf die ich nun hören muss, sagt mir jedoch, dass Du mich gerade dann alleine lassen wirst, wenn es wirklich zählt. Wenn Du da sein musst. Für mich und unsere gemeinsame Tochter. Deshalb ist es besser, wir bereiten dem Ganzen ein Ende, bevor es überhaupt dazu kommen kann.

Ich weiß nicht mal genau, was ich Dir eigentlich vorwerfen soll. Dein regelmäßiges Arschlochverhalten kann es nicht sein, daran bin ich ja gewöhnt. Deshalb trenne ich mich nicht von Dir. Mein Problem ist: Ich weiß nicht, was mit Dir los ist. Doch ich weiß, Du wirst es mir nicht sagen, niemals, und ich habe keine Lust, Detektiv zu spielen. Das geheimgehaltene Denken ist das Entscheidende. Ich glaube, auch in diesem Fall. Was mir wirklich wehtut, ist die Erkenntnis, dass ich mir von Anfang an (oder zumindest ein paar Wochen nach unserer ersten Begegnung im Flugzeug) gesagt habe: Diesen Mann will ich kennen lernen. Wirklich und wahrhaftig kennen lernen. Zwei Jahre später lautet mein Resümee: Das Projekt ist gescheitert. Erbärmlich gescheitert. Mein größter Vorwurf an Dich ist vielleicht: Du wolltest mich nie kennen lernen. Du hast es nicht mal richtig versucht. Und Du weißt bis heute nicht, wer ich bin.

Die Schuldfrage spielt eigentlich keine Rolle. Womöglich sind wir beide a pair of star-crossed lovers, wie Shakespeare das nennt, wobei die dabei freigesetzte Verzweiflung seltsamerweise nur auf meiner Seite zu finden ist. Du suchst immer nach Intensität, nach Feuer und heißem Blut, und offenbar erfülle ich Deine Ansprüche einfach nicht. Das ist traurig, aber kaum zu ändern. Es stört mich nicht mal, dass Du mit Anfang dreißig immer nur vom allerintensivsten Leben redest und keine Ahnung hast, was Du mit diesem Leben eigentlich machen willst. Damit bist Du ja nicht alleine – schau Dich mal in meiner Straße um. Es stört mich auch keinesfalls, dass Du mir mittlerweile 7000 Euro schuldest und trotzdem nur spazieren gehst und Abend für Abend nach Schnaps riechst. Behalte das Geld. Was mich stört, was mich um den Verstand bringt, ist vielmehr, dass Du Dir die Grundmisere unserer Beziehung niemals eingestehst und meine Qualen damit ins Unerträgliche verlängerst. Deshalb erledige ich das jetzt für uns beide: Ich will zu viel von Dir. Du willst zu viel vom Leben. Und nicht mal, wenn ich Dir alles gebe, was ich habe, ist es genug. So können wir nicht weitermachen. Ich kann so auf keinen Fall weitermachen. Darum dieser Abschiedsbrief.

Falls es Dich interessiert: Ich habe meinen Job gekündigt. Angesichts meines in Kürze beginnenden Mutterschaftsurlaubs bei vollen Agenturbezügen, der damit ausfällt, war es vermutlich die dümmste Entscheidung meines Lebens. Doch sie fühlt sich wie die beste an. Vielleicht ziehe ich weg aus Berlin. Ich will erst mal so wenig wie möglich mit Dir zu tun haben, aber natürlich werde ich Dir unsere Tochter nicht vorenthalten. Sei froh, dass Du mir nicht gegenübertreten musst: Ich bin fetter als jemals zuvor, habe neun Kilo zugenommen, wenigstens kotze ich nicht mehr ständig. La grossesse en enfer. Das Kind hat die Augenlider wieder geöffnet, man kann es sehen. Ich würde Dir sogar ein Bild schicken, doch ich verachte Familienalbumsonografie. Als ich nach unserem netten Racletteabend, während Du schliefest, mit Deinem besten Freund zu „Candle in the Wind“ tanzte, hat er mir besoffen ein Geheimnis verraten: Du willst das Baby „Dimona“ nennen. Vergiss es. Ich hatte erst „Anna“ ausgesucht, aber Du kennst ja das Schicksal meiner Heldin – darauf können wir verzichten. Lulu hat „Nico“ vorgeschlagen, die andere Heldin, was auch kaum besser ist. Ich habe mich nun für „Clara“ entschieden, ohne bestimmten Grund. Es gibt wenig Schlimmeres als prätentiöse Kindernamen wie Deinen, die irgendwelchen Vorbildern nacheifern. Außerdem funktioniert „Clara“ gleichermaßen im Deutschen wie im Französischen. Du solltest das erfahren, denke ich, kannst aber nichts mehr daran ändern.

Du hast mich oft gefragt, was ich eigentlich immer im Wald mache, Arthur. Erstens war ich ständig in der verfluchten Agentur und nur ein paar Mal jährlich „im Wald“. Und zweitens hätte Dich die Antwort ohnehin nicht interessiert. Wenn Dir auch nur irgend etwas an mir liegt, höre gut zu, denn jetzt sage ich Dir: Falls ich jemals wieder aus meinem Wochenbett aufstehen sollte, um einen Waldspaziergang zu machen, will ich einen Menschen auf keinen Fall in diesem Wald treffen: Dich.

Adieu.

Charlotte

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

oh man, hier wurden mal alle schmerzen auf den punkt gebracht. darf ich mir ein paar sätze kopieren liebe charlotte? ich könnte diesen brief fast wörtlich weiterleiten an einige verflossene lieben. super liebesbrief!