Sonntag, 14. Oktober 2007

Charlottes Welt I [Die Agentur]

Fällt dir auf, fragt Arthur, dass wir immer irgend etwas suchen?

Was bleibt uns anderes übrig, sage ich.

Es ist ein herzzerreißend schöner Herbsttag, Indian Summer in Berlin. Mein CD-Player macht seltsame Geräusche. Wir mussten deshalb die Wohnung verlassen und flanieren nun einen der unzähligen Berliner Prachtboulevards entlang: Die Menschen shoppen, die Menschen sind froh – und Arthur und ich sind auf der Suche. Heute suchen wir: Arthurs Schlüsselbund. Und Charlotte. Dass wir ersteren jemals wiederfinden, bezweifle ich an dieser Stelle mal ganz deutlich. Wahrscheinlich liegt er auf dem Grund der Spree, und das noch in tausend Jahren. Und bei Charlotte bin ich mir ganz und gar nicht sicher, ob sie überhaupt verschwunden ist. Sie geht nur nicht ans Telefon, wenn Arthur anruft und öffnet nicht die Tür, wenn Arthur klingelt. Doch da mein Freund nun offenbar das dringende Bedürfnis hat, Charlotte zu sehen, mit ihr zu reden oder sich vielleicht auch bloß Geld zu leihen – wer weiß das schon –, haben wir beschlossen, ihr hinterrücks und unvermittelt aufzulauern. Das heißt, Arthur hat dies so entschieden. Nach Tagen der Paralyse auf meinem Bett und um mein Bett herum ist sein Tatendurst neu erwacht – und ausnahmsweise liegt die Betonung nicht nur auf der letzten Silbe. Als ich ihm ungefragt riet, er solle seiner Freundin vielleicht noch ein klein wenig Zeit geben, etwa so lange, bis das abstoßende Mal auf seinem Rücken verheilt wäre oder – da dies auf lange Sicht utopisch scheint – zumindest bis Dimona laufen könne, erwiderte er nur:

„Warum nicht warten, bis die Spree zugefroren ist? Wenn ich jetzt noch länger warte, habe ich bald beide, Charlotte und den Schlüssel, endgültig verloren. Ich weiß: Falls ich diesen Schlüsselbund wiederfinde, finde ich auch Charlotte. Der Schlüssel zu Charlotte ist der Schlüssel.“

„Willst du nach dem Schlüssel tauchen?“

„Wenn nötig, springe ich auch noch mal in die Spree. Ich muss schließlich irgendwann mal wieder in meine Wohnung zurückkehren.“

„Das wäre nicht schlecht“, sage ich.

„Du hast ein kaltes, verhärtetes Herz“, bemerkt Arthur. „Du hättest auch das kleine, wie Espenlaub zitternde Jesuskind hinaus in die Kälte geschickt. Aber bevor ich noch mal in die Spree springe, habe ich hier eine Liste vorbereitet, mit all den Kneipen, an die ich mich aus jener abenteuerlichen Nacht erinnern kann. Es sind genau sieben. In einer dieser sieben Bars befindet sich mein Schlüssel.“

„Und wenn nicht?“

„Dann trinke ich eine Flasche Wodka und gehe tauchen.“

„Ohne mich“, sage ich. „Aber wollten wir nicht zuerst Charlotte suchen?“

„Beide Suchen lassen sich hervorragend verbinden. Wie du siehst, habe ich hier nicht nur die Barliste, sondern zudem einen Stadtplan, auf dem ich eben diese Bars jeweils mit einem kleinen roten nach Pisse schmeckenden Heineken-Sternchen markiert habe.“

„Einem Unsternchen.“

Arthur bleibt tatsächlich mitten auf dem Ku’damm stehen und breitet einen riesigen Stadtplan aus. Naturgemäß ist dies auf einem derartig von Speiseeis- und Brauseresten befleckten Pflaster kein besonders auffälliges Verhalten. Im Gegenteil, plötzlich gehören wir irgendwie dazu.

„Schau mal“, sagt er, „die blauen Sternchen. Das sind Charlotte-Sternchen.“

„Marzahn?“

„Da hab’ ich nur den Stift ausprobiert. Nein, die blauen Markierungen sind Orte, an denen sich meine Freundin möglicherweise aufhalten könnte. Ich hab’ mir letzte Nacht zum ersten Mal Gedanken gemacht, welche Orte für Charlotte in dieser Stadt von allergrößter Bedeutung sind.“

Ich sage: „Ihre Wohnung. Deine Wohnung. Lulus Wohnung. Die Agentur.“

„In ihrer Wohnung ist sie offensichtlich nicht. In meiner Wohnung kann sie nicht sein, da es keinen Zweitschlüssel gibt. Also beginnen wir mit Lulu. Aber vorher schauen wir an ihrem Arbeitsplatz vorbei. So schwer es mir fällt. Deshalb sind wir ja hier.“

„Es ist Freitagvormittag. Warum sollte sie jetzt nicht bei der Arbeit sein?“

„Sag’ ich doch. Darum gehen wir zuerst dorthin. Und danach können wir dann alle anderen blauen Sternchen streichen und uns eingehend mit den sieben roten Sternchen beschäftigen.“

„Klingt gut“, sage ich. „Und während du in der Agentur nachschaust, warte ich vor der Tür und trinke einen Frappuccino.“

„Feiges Schwein.“

„Was ist mit ihren Eltern?“

„Was soll mit denen sein?“ Arthur schüttelt den Kopf. „Bei ihren Eltern werde ich ganz bestimmt nicht nach ihr suchen. Das ist, als würde man Mengele in Israel aufspüren wollen. Die wissen nicht mal, dass sie ein Kind erwartet.“

„Ihr Vater wohnt auch noch in Berlin?“

„Nein, schon lange nicht mehr. Außerdem ist er ein ganz harter Säufer. Deshalb trinkt Charlotte auch immer nur Bionade.“

„Das wusste ich nicht.“

„Quatsch, du Idiot. Charlotte trinkt Bionade, weil sie schwanger ist. Das weißt du sehr wohl. Und ihr Vater trinkt nur Fencheltee. Dieses Arschloch.“

Charlottes Büro befindet sich in einer kleinen feinen Seitenstraße des Prachtboulevards. Nicht dass ich schon mal dort gewesen wäre, selbst Arthur hat seine Freundin meines Wissens stets nur mit gebührendem Abstand von der Arbeit abgeholt, also meistens am Kottbusser Tor auf sie gewartet, wenn überhaupt. In dieser Agentur trägt niemand Sneakers und kickern tun höchstens diejenigen Mitarbeiter, die ohnehin ein zwielichtiges Doppelleben führen. So hat es Charlotte zumindest beschrieben: Altes Geld, alter Dresscode sowie ein alter, lüsterner Chef. Charlotte ist ein Corporate Girl. Bis heute frage ich mich, wieso. Zumal sie mit ihrem Job wahrscheinlich unglücklicher ist als jeder halbwegs erfolgreiche Motz-Verkäufer.

„Ich weiß auch nicht, warum sie damals in diese Firma eingetreten ist“, sagt Arthur. „Sie war einfach unheimlich gut und die wollten sie unbedingt und sie hat ja gesagt und seitdem nicht mehr nein.“

„Was genau machen die eigentlich in dieser Agentur?“

„Keine Ahnung.“ Arthur zuckt mit den Schultern. „Charlotte weiß es ja selbst nicht so recht. Na ja, wahrscheinlich weiß sie es schon. Sie macht es jedenfalls. Und kriegt verdammt viel Geld dafür. Es ist die Art von Job, wo man, wenn man am Freitagabend den Scheiß-Blackberry ausschaltet um das ganze Wochenende mit seinem atemberaubend attraktiven Freund im Bett zu liegen, Gainsbourg zu hören und Bordeaux zu trinken, am Montagmorgen 150 neue Emails hat.“

„Aber sie will doch schon seit Monaten kündigen.“

„Wenn ich verstehen würde, warum sie das nicht tut, wäre vielleicht alles viel einfacher.“

„Der Schlüssel zu Charlotte ist also ihre Arbeit in der Agentur?“

„Nein, der Schlüssel zu Charlotte ist mein Wohnungsschlüssel. Du solltest besser zuhören. So, da wären wir.“

Ein frisch geweißtes Charlottenburger Großbürgerhaus. ABC Consulting besetzt die Etagen drei und vier. Nichts als ein glänzendes Messingschild deutet darauf hin.

„Weißt du, wie schwer es für mich ist, jetzt diese Klingel zu drücken und danach die Treppe hochzusteigen?“

Ich klopfe Arthur auf die Schulter: „Du schaffst das. Wer ein Bad in der Spree überlebt, im Oktober, der braucht vor nichts und niemandem Angst zu haben. Schon gar nicht vor Charlotte.“

„Vor Charlotte fürchte ich mich nicht. Es ist die Agentur.“

„Zeig’ ihnen einfach deinen letzten Kontoauszug. Dann werden sie vor dir niederknien.“

Arthur wirkt auf einmal beinahe hilflos: „Wahrscheinlich werden sie jemanden wie mich gar nicht erst zu ihr vorlassen.“

Er schlägt mit der Faust auf die Klingel, der Summer ertönt. Mein Freund drückt mit beiden Händen gegen die Tür, die sich kurz darauf geräuschlos hinter ihm schließt. Ich setze mich auf der anderen Straßenseite in die Sonne, auf einen Treppenabsatz, und beobachte einige russische Männer mit ihren Mätressen vor einem Gucci-Schaufenster. Interessanterweise scheinen eben diese Herren ganze Königreiche für die Garderobe ihrer Frauen auszugeben, kleiden sich aber selbst so, als wären sie gerade von den Bäumen gestiegen. Diese Russen sind schlechter gekleidet als Arthur und ich. Doch während ich gerade erst damit beginne, mir Gedanken über Stilettoabsätze und Reebook-T-Shirts zu machen, öffnet sich auf der anderen Seite schon wieder die Tür – heraus tritt Arthur, verschwitzt vom Treppensteigen und wohl auch vom Leben an sich, in seinem Blick den Furor eines russischen Anarchisten. Es wundert mich beinahe, dass diese Miniatur-Oligarchen mitsamt ihren drei Köpfe größeren Konkubinen nicht sofort vor ihm Reißaus nehmen oder wenigstens auf ihn schießen.

„Was ist los?“ frage ich, „wo ist Charlotte?“

„Diese Agentur ist wirklich das Allerletzte“, presst Arthur mühsam hervor. „Erst hat mich die Vorzimmerdame gefragt, ob ich der Mann von der Telekom sei. Als ich ihr sagte, dass ich der Mann von Charlotte Sevigny bin, hat diese Botox-Schlampe mich gemustert wie einen Aussätzigen.“

„Und?“

„Genau. Genau das hat sie gefragt: ‚Und?’“ Arthur setzt sich neben mich auf die Stufe, zornig und ermattet zugleich. „Ich sagte: ‚Könnte ich sie bitte sprechen?’ Ihre Antwort: ‚Frau Sevigny ist leider verreist. Aber das sollten Sie als ihr Ehemann ja wissen. Wie war doch gleich Ihr Name?’“

„Verreist? Wohin denn?“

„Keine Ahnung. Wollte das Vorzimmerfräulein mir nicht sagen. Ich hab’ mich umgedreht und bin gegangen.“

„Vielleicht ist sie nach Paris gefahren.“

„Ich kann ja schon nicht verstehen, wie es Charlotte zweieinhalb Jahre mit mir aushalten konnte. Aber dass sie es beinahe schon genauso lange in dieser Agentur aushält, übersteigt wirklich meine Vorstellungskraft.“

Er schaut mich ratlos an.

„Dabei könnte sie tausend andere Jobs haben“, sage ich.

„Sie könnte auch tausend andere Männer haben.“

„Warum muss Charlotte eigentlich immer noch arbeiten, obwohl sie demnächst Mutter wird?“

„Diese Blutsauger werden sie bis zur letzten Sekunde schuften lassen. Vermutlich sogar noch im Kreißsaal.“ Er gibt mir einen Klaps. „Komm’, die Suche geht weiter. Jetzt ist erst mal der Schlüssel dran. Außerdem brauch’ ich ein Bier. Das nächstgelegene Heineken-Sternchen auf meiner Karte sind die Zoo Terrassen.“

Da warst du in deiner Traubenzuckernacht?“

„Am Morgen. Fabelhafter Panaromablick. Und danach gehen wir ins Aquarium.“

Und während mir auffällt, dass ich fast gar nichts über Charlotte weiß, obwohl ich sie beinahe genauso lange kenne wie Arthur, während ich merke, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, warum das Berliner Aquarium auf Arthurs Plan mit einem blauen Charlotte-Sternchen markiert sein sollte, wird mir bewusst, dass diese Frau – wenn auch für die falschen Leute – verdammt hart arbeitet, selbst im siebten Monat einer nicht unbedingt gewollten Schwangerschaft, und wir nicht, und ich sage zu Arthur:

„Ich schreibe ja wenigstens meine Geschichten. Aber willst du dir nicht vielleicht mal einen Job suchen?“

„Es gibt nicht viele Berufe, die da in Frage kämen“, sagt mein Freund. „FIFA-Präsident. Betreiber einer Karaoke-Bar. Roadie für Joy Division. Du hast leicht reden, du Wucherjude mit deinem KNAX-Sparbuch.“ Arthur tritt gegen einen parkenden BMW. „Außerdem suche ich bereits meinen Schlüssel und meine schwangere Frau.“

[Werden wir Arthurs Schlüssel in den Zoo Terrassen finden? Wird Charlotte im Aquarium sein? Oder werden wir gar Charlotte in den Zoo Terrassen antreffen und Arthurs Schlüssel im Aquarium entdecken? Die Antwort gibt's, vielleicht, im nächsten Post...]

5 Kommentare:

Torte hat gesagt…

ja gegen Autos treten macht spass.... habe ich vorgestern nach dem Lima Lima auch gemacht... musste mich dann aber entschuldigen dafür um nicht auf die Fresse zu kriegen...

Kristiane Klug hat gesagt…

Raue, Pietzner & Partner Rechtsanwälte

Sehr geehrter Herr "f.h." - als Inhaber des Web-Blogs "Balagan Blues" -,

ausweislich der mir vorliegenden Informationen haben Sie auf diesem Blogger ("Balagan Blues"), welcher einem grundsätzlich unbegrenzten Adressatenkreis zugänglich ist, Inhalte und Informationen verbreitet, die geeignet sind, die Persönlichkeitsrechte meiner Mandantin, die in Ihrem Web-Blog als "Charlotte" erscheint, zu verletzen.
Insbesondere entsprechen die in dem vorgenannten Web-Blog erfolgten Negativdarstellungen über intime Details meiner Mandantin nicht den Tatsachen und wirken insofern rufschädigend.
Damit überschreiten Ihre Äußerungen den Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Kunstfreiheit.
Ich fordere Sie daher auf, die vorgenannten rufschädigenden Behauptungen meine Mandantin betreffend sofort von Ihrem Web-Blog zu entfernen sowie derartige Äußerungen künftig zu unterlassen. Dass Ihre die Persönlichkeitsrechte meiner Mandantin verletzenden Behauptungen gegen geltendes Recht verstoßen, können Sie anhand der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Fall "Esra" überprüfen (F.A.Z. vom 13. Oktober 2007).
Vorsorglich weise ich darauf hin, dass sich meine Mandantin weitere rechtliche Schritte, insbesondere die Prüfung der straf- und schadensersatzrechtlichen Relevanz Ihrer Äußerungen, vorbehält.

Für Ihre Erklärung über das Entfernen der Veröffentlichungen sowie das künftige Unterlassen habe ich mir den

20.10.2007

vorgemerkt und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Kristiane Klug
Rechtsanwältin

Anonym hat gesagt…

In der Romanwelt, die "Balagan Blues" vor dem Leser entfaltet, herrscht in emotionalen Fragen das Überlebensgesetz des Dschungels. Hier gibt es keine Guten oder Bösen, sondern nur Starke und Schwache, Bier- und Bionadetrinker. Wer sich seiner Haut nicht wehrt, wird von den anderen mit imponierender Rücksichtslosigkeit ausgebeutet. Zumeist ist Charlotte das Opfer. Sie erinnert mitunter an eine der unfaßbar devoten Frauenfiguren aus Lars von Triers "Golden Heart"-Trilogie. Und in stillen Momenten der Selbstprüfung gesteht der Anti-Held Arthur sich ein, dass er im Zusammensein mit Charlotte oft genug "genauso ein unerträgliches Arschloch wie ihr Vater" ist. Aber niemand sollte Charlotte deshalb für ein Unschuldslamm halten. Immer wenn sie sich Arthurs Zuneigung sicher sein kann, nimmt sie besonders wenig Rücksicht auf ihn und wird oft kapriziös bis zur Unerträglichkeit. Aber das ist längst nicht alles. Es wäre nicht ganz leicht, eine komplette Liste sämtlicher seelischer Grausamkeiten oder sonstiger Brutalitäten zusammenzustellen, die in diesem Blog geschildert werden. Kurz: F. H. breitet in "Balagan Blues" ein umfassendes Panorama menschlicher Schwäche und Niedertracht, aber auch menschlicher Einsamkeit und transzendentaler Obdachlosigkeit aus. Das "Balagan" des Lebens eben. Der literarische Zweck dieser Übung scheint mir offensichtlich. Je düsterer F. H. seine Romanwelt malt, desto lichter und anrührender wirken vor diesem Hintergrund die Liebesversuche der beiden Hauptfiguren, zumal eine dritte Figur -- Klara -- stets als "Unstern" und romantische Verheißung zugleich am Firmament des Erzählkosmos schwebt. Neu ist dieser dramaturgische Kniff nicht, er erinnert eher an altmeisterliche Erzählrezepte. Schon Tausende von Schriftstellern haben Geschichten nach diesem Muster gestrickt, bei manchen wurde tatsächlich Kunst daraus, bei anderen Kitsch. Wer also "Balagan Blues" jenseits des Gerangels vor den Gerichten ohne Eifer und Zorn liest, erkennt schnell, dass dieser Web-Roman kein wüstes, ehrabschneiderisches Pamphlet ist. Das Blog erzählt eine zeitgenössische Romeo-und-Julia-Geschichte, unterminiert aber zugleich deren Glaubwürdigkeit. Es gibt vor, eine große Liebe exemplarisch an der Schlechtigkeit der postmodernen Welt und der conditio humana scheitern zu lassen, hält aber zu dem enormen -- durch und durch romantischen -- Pathos dieses Stoffes mit formalen Mitteln ironische Distanz. Natürlich finden sich immer unbedarfte Leser wie Sie, Frau Rechtsanwältin, die in jeder Geschichte nur einen zum Text geronnenen Abklatsch dessen sehen können, was der Autor erlebt hat - und die damit die eigentlich literarische, das Erlebnismaterial künstlerisch formende Leistung des Autors übersehen. Dieses Missverständnis ist so alt wie die Literatur selbst. Doch es ist nicht einzusehen, weshalb dieses Missverständnis der Literatur zur Last gelegt werden sollte. Bei Vladimir Nabokov heißt es sehr schön pointiert: "Wer eine Geschichte 'wahr' nennt, beleidigt Kunst und Wahrheit zugleich." Leicht abgewandelt könnte man sagen: Wer eine Rechtsanwältin "Klug" nennt, beleidigt die Kunst und die Klugheit und sämtliche Leser von "Balagan Blues".

Anonym hat gesagt…

In einem Sondervotum der Richterin Christine Hohmann-Dennhardt und des Richters Reinhard Gaier
zum Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni 2007 heißt es:

Es ist fraglich, ob Goethe's Roman „Die Leiden des jungen Werther“ nach diesen Maßstäben der Senatsmehrheit nicht hätte verboten werden müssen, auch wenn die Senatsmehrheit dies von sich weist. Immerhin wurde schon bei damaligem Erscheinen dieses Briefromans in der Romanfigur Lotte CHARLOTTE Buff erkannt, in die sich Goethe, den man in der Figur des Werther's zu entdecken glaubte, während seiner Wetzlarer Referendarzeit verliebt hatte.

Torte hat gesagt…

Was meint eigentlich Charlotte dazu ???