Sonntag, 15. Juli 2007

Chris de Burghs Konzept der Liebe

There's nobody here. It's just you and me.

„Das ist ja wie in Tempelhof“, sagt Arthur und deutet durch das Autofenster auf den Flughafen. Ein kühner Vergleich. Gewagter noch als Kassel vs. Be’er-Sheva. Denn von Tempelhofer Dimensionen kann hier in Eilat, am südlichsten Ende der Wüste, wahrhaftig nicht die Rede sein. Auch was Gestaltung und Geschichte angeht, drängt sich die Nähe zur „Mutter aller Flughäfen“ (Sir Norman Foster) naturgemäß nicht gerade auf. Eilat ist bloß ein Beach-Resort am Roten Meer. Ein Sündenbabel im Gelobten Land, Dorn im Fleische der Ultraorthodoxen. Die Nachbarn Ägypten und Jordanien nehmen diesen äußersten Zipfel des Staatsgebiets gleichsam in den geographischen Schwitzkasten. Doch Eilat wächst und wächst, wie ein mal gut-, mal bösartiger Tumor, bleibt konsequent der Erholung und dem Amüsement verpflichtet. Kein Zweifel, der ganze Ort ist kleiner als Berlins Zentralflughafen, worauf ich Arthur auch hinweise. Im Verhältnis, insistiert mein Freund, sei Eilats Airport aber sogar größer als der einstige preußische Exzerzierplatz. Und überdies viel zentraler. Start- und Landebahnen wurden hier tatsächlich, äußerst behutsam, fast direkt an der Meerespromenade platziert. Alle zehn oder zwanzig Minuten verdunkelt sich der Strand, die Sonnenbadenden liegen für einen Augenblick im Schatten. Einflugschneise Eilat Beach. Im Unterschied zum eher massiven Tempelhof wirkt dieser Ferienflughafen indes leicht, gleicht einem Provisorium. Ein Wüsten-Airport eben.

Während Arthur und ich noch diskutieren, schreien wir beide unwillkürlich auf. Diesmal geht der ohnehin schon wenig progressive Radiosender, dem wir seit Stunden ausgeliefert sind, eindeutig zu weit: „Lady in Red“ von Chris de Burgh. Mit Verlaub, das tut ja weh. Wir werden richtig wütend, und es ist keine spielerische Wut, sondern ein geradezu heiliger Zorn, der da von uns Besitz ergreift. Es müsse, sagt Arthur, doch mal irgend jemand etwas tun. Endlich etwas unternehmen gegen diesen widerwärtigen, über und über behaarten Gnom, der einzig in Deutschland – und, wie wir jetzt leider erfahren müssen, in Israel – noch seine schmierigen Balladen verkaufe und bei jedem einzelnen wunderkerzenilluminierten Auftritt stets mit der gleichen aufgesetzten Glut und Inbrunst von seiner „Lady in Red“ schmachte. Ich stimme Arthur sofort zu. Doch was soll man da schon machen. Wie soll man denn praktisch etwas gegen Chris de Burgh unternehmen? Im alltäglichen Leben scheint es einfacher, der Klimakatastrophe wenigstens nicht Vorschub zu leisten, als dem Lied von der „Lady in Red“ zu entgehen. Mit Abstand am unangenehmsten, da sind wir uns einig, ist jene Textstelle wo dieser irische Aushilfsromantiker seiner Tanzpartnerin ein „You were amazing“ ins Ohr haucht. Da könnte ich mich jedes Mal sofort erbrechen.

„Nicht mal in Tel Aviv kann man so viel Humus essen, wie man an dieser Stelle kotzen will“, sage ich zu meinem Freund.

Arthur muss sofort an unseren Lieblingstaxifahrer denken, welcher die üppige Körbchengröße der israelischen Frauen emphatisch auf ihren Humus-Konsum zurückführte. Bereits in frühester Kindheit, so der Taxifahrer, würden sie mittels einer ausgeklügelten Strategie geradezu mit Humus gemästet, müssten immer und immer wieder, Tag ein, Tag aus, Humus essen, nichts als Humus, Humus, Humus – aus einem einzigen, gewichtigen Grund:

„Humus makes big tits. Big big big tits.“

Chris de Burgh beschwört jetzt aber nicht die Brüste der rotgewandten Dame, sondern ganz allgemein „a feeling of complete and utter love“. Corporate love, denkt man mit Schaudern, industriell gefertigte Gefühle. Emotionale Pornographie. Von diesem Punkt ist es nicht weit bis zur Massenproduktion von Hass, Verderben und Vernichtung. Es bleibt festzuhalten: Die Tiraden sämtlicher Hassprediger der Region sind uns sympathischer, sprechen unsere Herzen leidenschaftlicher und direkter an als Chris de Burghs Konzept der Liebe.

„Ich möchte lieber von Charly Manson geliebt werden, als von Chris de Burgh“, resümiert Arthur sehr treffend.

Der Abend dämmert bereits. Jenseits des Grenzzauns, auf der jordanischen Seite, stellen sie Licht für Licht die Nachtbeleuchtung an – unzählige hell strahlende Lampen, fast wie zur Weihnachtszeit, als wollte das Königreich den besser situierten Nachbarn wenigstens auf diesem Felde übertrumpfen. Die Berge sind von einem matten roten Schimmer überzogen.

„Wir dürfen uns diesen Abend von Chris de Burgh nicht kaputtmachen lassen“, sagt Arthur entschieden.

Doch unsere gerade noch so euphorische Stimmung ist fürs erste ruiniert.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

nun gut, meine erste wortmeldung enthielt gleich zwei schreckliche fehler. aber soll ich deswegen für alle zeiten schweigen und somit die ergriffenheit VERschweigen, in die ich bei der lektüre des letzten posts geriet? zwar mag es zunächst beinahe anachronistisch anmuten, in unseren tagen noch mit chris de burgh abrechnen zu wollen. schließlich darf man gewiss sein, dass dessen unsäglicher "hit" auch im israelischen radio schon morgen nicht mehr zu hören sein wird - und dafür 24/7 der sympathische kasseler kunstfaschist läuft. zumal abstand wohl bald einen grandiosen track über auf kompromisslose humusmästung zurückzuführende "big big tits" vorlegen wird. und dennoch: wie in besagtem post chiffren des wahrhaft romantischen (manson, tempelhof, titten) gegen die allgegenwärtige "emotionale pornographie" ins feld geführt werden, scheint mir das attribut "meisterhaft" zu rechtfertigen. und ich halte derartiges für ungleich wichtiger als all die müßigen gender-fragen, die im zusammenhang mit dem vorherigen text debattiert werden (ich bin selbstredend überzeugt, hier "im namen aller schwulen und lesben dieses landes, ja: dieses universums" sprechen zu können!). meines erachtens erreicht "chris de burghs konzept der liebe" eine prägnanz, wie sie höchstens noch die tätowierung jenes teilnehmers an den sog. harley days besitzt, der mir gestern auf der reeperbahn seinen entblößten oberkörper präsentierte. dort also prangten die worte störtebekers: "gottes freund - aller welt feind!" sind wir, die wir auf einsamem posten für den erhalt einer letzten ahnung dessen kämpfen, was einst schönheit hieß, nicht in exakt derselben lage? anders gesagt: KASSEL BRAUCHT KEINE KUNST! und keine giraffen, ob ausgestopft oder brennend.