Donnerstag, 5. Juli 2007

Dimona

Mein Freund Arthur wird im Dezember zum ersten Mal Vater. Da mittels avanciertester Technologien das Geschlecht des Kindes bereits als bekannt vorausgesetzt werden darf, hat er sich auch schon einen Namen ausgedacht: Dimona. Ich weiß nicht, wie er darauf kommt, möglicherweise spielt Hölderlin eine Rolle oder sogar ein Computerspiel. Ob die Mutter des Mädchens mit seiner Namenswahl einverstanden ist, sei ebenfalls dahingestellt. Doch Arthur ist fest entschlossen: Dimona – oder eben gar kein Name.

Als ich ihn nun auf unserer Fahrt entlang der jordanischen Grenze darauf hinweise, dass Dimona zugleich der Name einer israelischen Kleinstadt in der Negev-Wüste ist und dass sich 13 km östlich dieses Ortes jene mythenumwobene „Chocolate Factory“ befindet, die gemeinhin als Brutstätte des israelischen Atomwaffenprogramms gilt, ist Arthur zunächst entsetzt. Dies hätte er wohl kaum im Sinn gehabt. Dann könne er seine Tochter ja gleich „Force de Frappe“ nennen, bemerkt der frankophile Arthur bitter. Ein paar Minuten Schweigen, nur Arab-Pop im Autoradio. Urplötzlich hellt sich seine Miene auf.

„Dimona, das ist gut“, murmelt Arthur, „das ist wirklich gut.“

Noch besser ist: Wir schauen auf die Karte, Dimona liegt gar nicht so weit von hier. Mein Freund und ich rasen also durchs wüste Land, der heiße Wind verbrennt uns die Gesichter. Links und rechts „Firing Zones“ des Militärs. Am Straßenrand grasen Kamele im Staub. Noch bevor wir die Reißbrett-Siedlung erreichen, entdecken mein Beifahrer und ich schon ein weißes, unbewegliches Objekt am Himmel – ein Aufklärungsflugzeug. Mit Sicherheit werden wir längst gefilmt, abgehört und erkennungsdienstlich geprüft. Arthur dreht die Musik lauter. Dann etwas außerhalb die ersten Schilder:

„DO NOT STOP. 10 km.“ Und: „NO PHOTOGRAPHY“.

Das betreffende Gelände hat man, vorsichtig gesagt, weiträumig umzäunt. Am Horizont ist gleich einer Fata Morgana die Silhouette der „Chocalate Factory“ zu erkennen. Der offizielle Codename jener Fabrik, die, wie der seit dieser Woche wieder inhaftierte Jahrhundertverräter Mordechai Vanunu 1986 einer nicht all zu verblüfften Öffentlichkeit mitteilte, gar keine Textilien (und erst recht keine Schokolade) produziert. Sondern Atomwaffen.

„Das hätte ich dir auch so sagen können“, sagt Arthur. „Ohne zehn Jahre da zu arbeiten. Eine angemessen gesicherte Schokoladenfabrik in der Wüste hätte allerdings auch ihren Reiz.“

Ich erzähle ihm, dass Mordechai nach seiner Entlassung nicht nur in Australien zum Christentum konvertierte, sondern kurz darauf von einer vermutlich recht attraktiven Mossad-Agentin (Deckname „Cindy“) nach Rom gelockt und schließlich verhaftet wurde. Geheimprozess. 18 Jahre. Langweilig ist Mordechais Geschichte nicht – Dimona indes schon. Man kann ja gar nichts sehen. Natürlich nicht. Der Ort lebt allein von der eigenen, durch Spionageromantik entfesselten Vorstellungskraft. Wir sind das einzige Auto auf dieser Straße, fahren schnurgerade am Nato-Draht entlang. Es bleibt zu erahnen, was sich unterirdisch hier so abspielt. Zwei schöne Strahlenschutzanzüge wären jetzt wohl nicht die allermisslungenste Kleiderwahl. Irgendwann endet selbst dieser Zaun, man darf wieder anhalten und in den Staub pissen. Dimona, verborgen im Wüstensand, existiert wirklich nicht. Oder: Es existiert in der Wirklichkeit ebenso sichtbar wie in den offiziellen Regierungsakten. Arthur wird seiner Tochter aber trotzdem diesen Namen geben.

„Dimona Müller soll sie heißen und nicht anders“, sagt er mit feierlicher Stimme.

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