Freitag, 20. Juli 2007

Jesus Christus' Konzept der Liebe

„Bei dieser Hitze! Das ist doch menschenverachtend!“

Arthur kann es noch immer nicht fassen. Aber die Wahrheit ist: Wir wurden angehalten, kurz hinter Eilat. An einer Art Mini-Checkpoint. Von einem Herrn mit Maschinenpistole. Sehr freundlich bat dieser Gentleman meinen barbrüstigen Freund, der gerade den Fahrtwind so genossen hatte, doch bitte auf der Stelle sein Hemd wieder anzuziehen. Nacktfahren verstoße gegen das Gesetz, selbst bei 42 Grad im Schatten, da man ohne Oberbekleidung nicht angemessen gegen plötzliche, mitunter wie aus dem Nichts auftretende Insektenstiche gefeit sei. Ich hingegen, der Beifahrer, dürfe gerne mein T-Shirt ausziehen, das sei schließlich völlig ungefährlich, ich würde ja ohnehin nur aus dem Fenster und bisweilen auf die Straßenkarte schauen. Seitdem ist Arthur irgendwie wütend auf mich, glaube ich, er schimpft auch auf den Staate Israel an sich, der ihn zunehmend an Deutschland erinnere, wie er nun ständig betont.

Ich bin ebenfalls verärgert, allerdings nicht wegen Arthur. Das Problem ist sein Cousin. Er heißt Konrad und war schon immer ein Idiot. Wir sollten ihn besuchen, in seinem Wüstenkibbuz, wo es natürlich nie regnet und das Wasser deshalb aus 400 Metern Tiefe ans Tageslicht gepumpt werden muss. Ein nicht unerheblicher Aufwand, wie man sich vorstellen kann. Konrad baut dort Oliven an, zumindest behauptet er das, ich persönlich kann mir diesen Nichtsnutz kaum bei einer derart sinnvollen Tätigkeit vorstellen. Der Mann ist doch meschugge. Unser Plan war gleichwohl, ein paar Tage bei ihm zu wohnen und in entspannter Manier Früchte zu pflücken. Pfirsiche und Aprikosen. Doch als Arthur und ich den trostlosen Kibbuz endlich gefunden hatten, war Konrad gar nicht da. Er sei nach Jerusalem gefahren, zur Gay Pride Parade, erklärte uns eine fabelhaft schöne alte Dame mit Pionierglanz in den Augen. Leider käme er keinesfalls vor dem nächsten Shabbat zurück – frühestens in einer Woche.

Während Arthur also vor Wut kocht, da er ein Hemd tragen muss und ich nicht, bin ich erbost, weil wir nun erneut in Be’er Sheva übernachten müssen – einer der hässlichsten Städte der Welt, wie gesagt, vielleicht sogar die hässlichste überhaupt. Selbst die Studenten, die hier so massenhaft studieren, meiden das Zentrum und feiern ihre Studentenpartys lieber außerhalb, in unmittelbarer Umgebung ihrer Studentenwohnheime, nach Beendigung ihrer täglichen Studien, versteht sich. Zu weit für uns.

„Ich kann nicht glauben, dass wir schon wieder in dieser Stadt sind“, sage ich. „Ich will zurück nach Tel Aviv.“

Arthur zitiert recht zusammenhanglos Ben Gurion, der erklärt haben soll, Israel müsse die Wüste erobern, sie besiedeln und urbar machen, andernfalls würde sich die gefräßige Wüste eben Israel einverleiben. Entweder – oder. Das gleiche gelte, so Arthur, für uns beide und Be’er Sheva.

„Klar“, entgegne ich, „dann verbringen wir eben einen weiteren vergnügten Abend in der Altstadt.“

Die Straßen der düsteren Negev-Metropole wirken heute noch verlassener. In Eilat wie in Tel Aviv ist immer Tag. In Be’er Sheva regiert die Nacht. Wie im nordschwedischen Januar, wenngleich bei deutlich höherer Außentemperatur. Als Arthur gerade das Auto abschließt, entdeckt er plötzlich einen gefalteten Zettel unter dem Scheibenwischer. Beim Lesen hellt sich seine Miene auf.

„Es ist ein Liebesbrief“, sagt er bewegt.

„Von wem?“

„Hör erst mal zu“, erwidert mein Freund: „Dear stranger“, trägt er mit mangelhafter Aussprache vor, „how are you? I just had to send you a note to tell you how much I love you and care about you. I saw you yesterday as you were talking with your friends. I waited all day, hoping you would want to talk with me also. You never came. Oh, yes, it hurts me—but I still love you very much.”

Wie nett. So einen Brief bekommt man nicht alle Tage.

Arthur grinst anzüglich und fährt fort:

„I saw you fall asleep last night and longed to touch your brow, so I spilled moonlight upon your pillow and face. You awakened late and rushed off to work. My tears were in the rain.”

„Das reicht”, sage ich.

Kamele – und Kamele gibt es hier in der Wüste zuhauf, so zahlreich wie Hunde in unserer Heimatstadt – können bis zu vierzehn Tage ohne einen einzigen Drink überleben. Ich nicht. Und Arthur im Normalfall auch nicht. Wir wollten gerade eine Bar suchen, meinetwegen sogar eine Carlsberg-Bar. Doch mein Freund wird jetzt pathetisch:

„My love for you is deeper than the ocean and bigger than the biggest want or need in your head. I want you to meet my Father.”

„Das ist krank”, sage ich. „Beim ersten Date?”

„I want you to meet my Father. He wants to help you, too. My Father is that way, you know. And I will always love you.” „Wie Whitney Houston”, ergänzt er noch.

„Dolly Parton”, verbessere ich ihn. „Der Song ist eigentlich von Dolly Parton.“

„Rate mal, wer der Absender ist”, sagt Arthur.

Ich kann es mir denken. Wir reisen ja nicht umsonst durchs so genannte Heilige Land. Diesen Zettel, welcher mit großer Wahrscheinlichkeit im Mittleren Westen Amerikas millionenfach gedruckt wurde und nun hinter jüdischen Scheibenwischern klemmt, müssen wir seit Jerusalem herumkutschiert haben. Arthur öffnet noch mal den Kofferraum und holt seinen Schuhkarton hervor.

„Ein Liebesbrief ist ein Liebesbrief“, sagt er. „Egal, von wem er verfasst worden ist.“

Zugegeben, der Stil sei wenig postmodern, ein prämodernerer Ansatz praktisch gar nicht vorstellbar, gleichwohl beanspruche auch dieser Brief einen würdigen Platz im großen, puzzleartigen Gesamtpanorama der Liebe und gehöre daher in den Schuhkarton und nicht in den Papierkorb.

„Von mir aus kannst Du den Brief auch beantworten“, sage ich.

Arthur denkt kurz darüber nach. In seiner Absolutheit und Unbedingtheit ist dieser himmlische Liebesbrief ja tatsächlich nicht ganz unromantisch, obgleich das angesichts des Absenders pervers klingen mag. Romantischer als „Lady in Red“ ist das Pamphlet allemal. Und passionierter, es hat zweifellos mehr Sexappeal.

Aber heute abend bin ich genervt. Erbarmen. Mein Freund erzählt einfach zu viele Liebesgeschichten, selbst wenn sie blasphemisch sind und vom Erlöser handeln – nur, um nicht seine eigene erzählen zu müssen. Ich kann ihn verstehen. Das ist der Blues, und der Blues hört niemals auf, wenn man ihn einmal hat. Damals muss Arthur irgendwie falsch abgebogen sein. Doch vielleicht sollten wir dann und wann auch über andere Dinge reden. Zum Beispiel über den Nahostkonflikt. Der stellt ebenfalls ein nicht zu unterschätzendes Problem dar, ein unausmeßbares Balagan, jenseits von blöden blauen Blumen und postmodernsten Frauen. Das ständige Nachdenken, Faseln und Philosophieren über ein Thema, das man eigentlich aus seinem Hirn verbannen sollte, macht doch alles nur noch schlimmer. Shut the fuck up and dance. Such dir ein Supermodel auf Speed. Ruf deine schwangere Freundin an. Derlei Gedanken gehen mir durch den Kopf, während Arthur und ich durch die finsteren, fußgängerfeindlichen Straßen streifen und einmal mehr über die Liebe streiten, ab und zu rauscht ein Auto vorbei, ansonsten ist Be'er Sheva tot.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

dass es im sog. heiligen land eine solche "stadt" geben könnte, einen ort also, der sich ganz und gar an der architektur des kottbusser tors orientiert und der mithin in unvergleichlicher weise den ebenso unaufhaltsamen wie rückhaltlos zu begrüßenden niedergang aller "zivilisation" zu versinnbildlichen imstande ist, war mir naturgemäß vollkommen unvorstellbar. nun aber glaube ich, dass man wohl einzig an einem solchen locus terribilis noch ernsthaft über die liebe nachdenken kann. im idyllischen st. pauli hingegen kann man, kann zumindest ich dies nur höchst unzulänglich tun, und trotzdem: soll ich denn auch noch die fresse halten, wittgenstein zuliebe (§ 7) oder damit – ich weiß, ich wiederhole mich – der mob erregter gender-diskutanten und von mir aus auch diskutantinnen das letzte wort behält? nun, vielleicht sollte man kein publikum beleidigen, das nicht mal das eigene ist, und vielleicht hat sich dieses ja längst geschlossen nach be’er sheva aufgemacht, sei es um der IDF beizutreten oder sich an ein kreuz schlagen zu lassen – während ich hier noch vor mich hin fasele. was ich eigentlich nur sagen wollte: danke.

Anonym hat gesagt…

wahrscheinlich ist das hedonistenpack doch eher nach eilat geflogen ...