Mittwoch, 22. August 2007

Jewish Princess I

„Pappelallee“, sagt Arthur und nickt. „Vielleicht Pappelallee. Oder: Hindenburgdamm.“

Ich habe ihn gerade gefragt, welcher Berliner Straßenname auch nur annähernd so poetisch, so frei und verführerisch klänge wie ‚Lilienblum Street’, eines von mehreren Epizentren des Tel Aviver Nachtlebens.

„Aber am Hindenburgdamm gibt es keine Jewish Princess“, fügt mein Freund noch hinzu.

Wie wahr, doch selbst in Tel Aviv ist diese Bar mit größtem Potential, die uns von vielerlei Seiten empfohlen wurde, nicht leicht zu finden. Arthur und ich suchen seit Stunden. Wir haben etwa ein Dutzend Personen, Frauen zumeist, nach dem Weg gefragt, und alle haben gelacht oder die Frage entweder als raffinierte oder fadenscheinige Anmache interpretiert. Einige haben uns in die Irre geschickt.

„Wir werden die Jewish Princess niemals finden“, sage ich.

Und so sitzen wir erneut in der Lilienblum Street, Straße des ewigen Sommers, mit einigen Personen, die immer hier sitzen und, wenn es die Stimmung erlaubt, mit uns reden und trinken. Die Nacht ist noch jung. Eigentlich sollte ich Sarah treffen, doch die besucht momentan ihre Familie in Haifa, wie sie mich per Email wissen ließ. Dann eben nächste Woche, haben wir gesagt, und ich hoffe, es klappt endlich mal. Gleich neben uns trinkt der einzige Anzugträger der Stadt, ein älterer Franzose von zwergenhafter Gestalt.

Hast Du nicht langsam das Gefühl, diese Sarah könnte dich irgendwie meiden wollen? fragt Arthur.

„Was hast Du Charlotte eigentlich geschrieben?“

„Nichts Besonderes“, sagt mein Freund. „Einige angemessene Worte. Ich finde es ja in Ordnung, dass sie der Kleinen Gainsbourg vorspielt. Keine schlechte Wahl. Aber es kann nicht sein, dass meine Freundin erst meine Liebesbriefsammlung – wohlgemerkt aus den Jahren vor der Charlotte-Ära – durchstöbert und mir dann auch noch Vorwürfe macht. Daraus spricht ein gewaltiger Mangel an Postmodernität.“

An dieser Stelle mischt sich plötzlich der Franzose ein:

„Das Wesen der Frauen entspricht doch aber ganz und gar der Postmoderne“, sagt er und massiert seinen Dreitagebart.

Ich glaube, er heißt Jean.

„Wie darf ich das verstehen?“ fragt Arthur skeptisch.

„Nun ja“, erläutert unser Tischnachbar, „da die Frau ja bloß Erscheinendes ist, korreliert ihre Oberflächlichkeit und Bedeutungslosigkeit in anmutiger Weise mit der Tiefenlosigkeit und dem Bedeutungsverlust der Postmoderne.“

„So ein Quatsch“, sagt mein Freund. „Das Gegenteil ist richtig. Die meisten Frauen sind ja eben viel zu tief. Ich fordere mehr Oberfläche.“

„Ihr seid noch jung. Ihr werdet es schon irgendwann begreifen“, entgegnet der seltsame Franzose in seinem viel zu großen Anzug.

„Falls Deine Tochter wirklich ein Gainsbourg Girl wird“, versichere ich Arthur, „dann besteht an ihrem außergewöhnlich postmodernen Status eigentlich kein Zweifel. Ein Gainsbourg Girl weiß Oberfläche und Tiefe zu verbinden, wenn auch vielleicht noch nicht als Kleinkind.“

„Auch Zwerge haben mal klein angefangen“, sagt der angehende Vater.

„Serge Gainsbourg?“ Jean horcht auf.

„Kennst Du eine Bar namens Jewish Princess?“ fragt Arthur.

„Ich kenne nur den Zappa-Song.“

Wir schauen uns betreten an. Arthur und ich wussten nichts von diesem Song. Doch „Jewish Princess“, so der Franzose, sei auf dem 1979er Album Sheik Yerbouti (sprich: „Shake your Booty“) enthalten und hätte damals eine erfolglose Klage der Anti-Defamation League nach sich gezogen. Unsere mehrfach vergeblich gestellte Frage nach jener Bar erschiene bereits bei bloßer Kenntnis der ersten Zeile – „I want a nasty little Jewish Princess“ – in einem nicht völlig unproblematischen Licht. Allerdings bezweifle er, Jean, dass irgend jemand außer ihm selbst sich noch an dieses – gleichwohl vortreffliche und zweifelsohne ein Maximum an Postmodernität erreichende – Album, auf dessen Cover Zappa als Scheich posiere, erinnere. Wir sollten uns also keine Sorgen machen.

„Wir müssen diese Bar unbedingt finden“, sagt Arthur

Er winkt nach der Kellnerin.

Ich stimme ihm zu: „Du hast Recht. Die Suche muss weitergehen.“

„Immer der Nase nach, sagt der kleine Franzose und lacht.

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