Mittwoch, 1. August 2007

Irgendwie geht die Welt aus dem Leim.Teil II

[Was bisher geschah: Arthur und ich sitzen – leicht verkatert, bei großer Hitze – auf der Terrasse des YMCA in Jerusalem. Wir sprechen über die üblichen Dinge: die Welt, welche ganz allgemein aus dem Leim zu gehen scheint, Arthurs mehr oder minder postmoderne Frauen und eine so genannte Super Group der späten achtziger Jahre namens The Traveling Wilburys. Auf einmal möchte sich eine ältere Dame zu uns setzen...]

Während ich wohl noch irritiert in die Gegend blicke, ist mein Freund Arthur – bei aller Unverschämtheit stets auch Gentleman – bereits aufgestanden und hat der Dame einen Stuhl zurückgeschoben. Bevor ich mich überhaupt vorstellen kann, bestellt er beim Kellner ein drittes Wasserglas. Delphine Nussbaum ist klein, zierlich und für hiesige Verhältnisse sehr blass. Platinblondes Haar. Altersflecken und spitze Knochen. Sie trägt ein fliederfarbenes Chanel-Sommerkostüm, eine riesige Chanel-Sonnenbrille und einen Hut, der möglicherweise vom selben Label stammt. Ich weiß es nicht. Es ist ein äußerst breikrempiger Hut. Ihr Englisch klingt manchmal wie Französisch.

„Ich komme eigentlich aus Paris“, sagt Delphine, „aber nach dem Krieg hat es mich hierher verschlagen. Haben Sie schon gegessen?“

Wir ordern gerne eine große Portion Humus und endlich auch die erste Flasche Wein. Golan-Wein. Delphine möchte lediglich einen Teller Pommes, die YMCA-Pommes seien stadtbekannt. Auf ihre Bitte hin erzählen mein Freund und ich ihr unsere Lebensgeschichten. Eigentlich redet mal wieder nur Arthur, denn diese wirklich distinguierte und charmante, aber ziemlich neugierige ältere Dame hat den Fehler gemacht, nach unseren Freundinnen zu fragen. Obwohl ich ihm einen missbilligenden Blick zuwerfe, erläutert mein Begleiter nun erneut sein Konzept der postmodernen Frau. Die ewige Suche. Der Adidas-Schuhkarton mit den Liebesbriefen. Wenigstens spricht er nicht mehr von Anne Frank – und vor allem nicht von Sex mit Anne Frank. Frau Nussbaum ist, das steht fest, auf der Stelle fasziniert.

„Was wollen Sie eigentlich machen, Arthur, wenn Sie diese perfekte postmoderne Frau niemals treffen?“ fragt sie.

„Diese Frage stellt sich mir nicht“, entgegnet mein Freund. „Ich weiß ja, dass es sie irgendwo gibt. Diese Frau. Und bis ich sie finde, gilt das Schuhkarton-Konzept.“

"Maybe somewhere down the road a way, at the end of the line,
you'll think of me and wonder where I am these days."

Ich weiß auch, dass es sie gibt. Er hat sie schließlich längst gefunden. Delphine lächelt ganz mädchenhaft, was auch daran liegen kann, dass sie die zynischen Facetten von Arthurs postmodernem Liebeskonzept nicht in ihrer vollen Konsequenz erkennt. Zudem haben wir kurz zuvor vom Sonnenaufgang über Masada geschwärmt. Sie möchte nun noch genauer wissen, was ‚postmodern’ eigentlich bedeute. Arthur redet und redet, er wird immer manischer. Seine Tochter erwähnt er diesmal aber nicht. Dimona, jene ungeborene, doch bereits als ‚postmodern’ gebrandmarkte Prinzessin, die hoffentlich niemals Männer wie ihn kennen lernen wird. Ich gehe aufs Klo. Als ich wiederkomme, stehen Weißwein – süß wie Fanta – und Essen auf dem Tisch und Arthur hält endlich den Mund. Gut so. Er redet einfach gar nicht mehr, verschwindet dann plötzlich ebenfalls auf der Toilette.

„Wie war noch mal Ihr Name, bitte?“ will Delphine von mir wissen. Ich sage es ihr. „Das ist ja fast so romantisch wie ‚Arthur’. Aber Sie beide mögen ja auch Sonnenaufgänge.“

Und jetzt erzählt Delphine Nussbaum, unaufhörlich, als könnte gleich wieder eine Terrorwarnung dazwischen kommen. Trotz einiger tiefer Falten im Gesicht, fabelhafter Falten, fällt mir auf, dass diese Dame geliftet ist. Sie muss einmal sehr schön gewesen sein. Natürlich ist sie es immer noch. Delphines Geschichten sind ebenso glamourös wie ihr Look. Sie handeln von: Männern. Vielen Männern. Gutaussehenden und vermögenden Männern. Männern in Hotels. In Eilat, auf dem Canale Grande, am Ku’damm und an der Cote d’Azur. Es sind Geschichten wie aus einem Fitzgerald-Roman, sie spielen fast immer bei Nacht. Delphine Nussbaum kennt sie alle – die großen, mächtigen, reichen Männer. Ich weiß nicht so recht, was ich ihr glauben kann. Doch immerhin hat sie jahrzehntelang für das israelische Außenministerium gearbeitet und scheint sich – zumindest in diesem kleinen Land, wo beinahe jeder mit jedem befreundet oder verfeindet ist – vortrefflich auszukennen. Angeblich war sie sogar in jungen Jahren mit dem Bruder des aktuellen Premierministers liiert. Ihre Erzählungen lesen sich wie eine Hochglanzausgabe der Jerusalem Post, erstellt von der Paris Match-Redaktion. Dabei nippt diese ältere Dame nur an ihrem Wein, ihre Pommes werden kalt.

Arthur ist vom Klo zurückgekehrt, wirkt nun erfrischt, doch immer noch leicht abwesend.

„Passen Sie auf, meine Herren“, sagt Delphine Nussbaum lächelnd. „Ích muss jetzt zu einer Lesung. Aber würden Sie mir nicht heute Abend zum Apéritif die Ehre erweisen? Ich habe nur eine sehr kleine Wohnung. In der German Colony. Allerdings guten Champagner.“

Das glaube ich sofort. Ich zögere keine Sekunde, die Einladung anzunehmen, denn diese Lady hat wirklich Grandezza und Geist. Das sage ich auch zu Arthur, als Delphine sich mit einem knochigen Handschlag verabschiedet hat, ihre Visitenkarte liegt auf dem Tisch.

„Wenn du mich fragst, ist sie übrigens auch ziemlich postmodern“, füge ich noch hinzu.

Arthur schaut mich nur verstört an.

„Ich muss dir jetzt erzählen, was passiert ist, als du auf der Toilette warst“, sagt er ernst: „Ich musste nämlich gerade gar nicht pissen, sondern nur mein Gesicht waschen, weil ich so rot geworden war.“

„Eben. Aber diese Frau hat es geschafft. Während du auf dem Klo warst, hat sie mir erst lauter Komplimente gemacht. Über mein Aussehen und meinen Charme. Sogar über meine Frisur. Und dann hat sie mich gefragt, ob ich jetzt sofort mit zu ihr nach Hause kommen würde. Du müsstest ja nichts davon erfahren. Wir – also diese Frau und ich – könnten uns ja irgendeine Ausrede ausdenken.“

Arthur streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich schlucke.

„Willst du mir ernsthaft erzählen, dass sie dich abschleppen wollte?“ frage ich meinen Freund.

Er nickt bloß und trinkt sein Weinglas in einem Zug aus. Ich sage ihm, dass er sich das einbilden würde, in seiner grenzenlosen Eitelkeit. Diese Dame sei erstens nicht nur etwa siebzig Jahre alt und wahrscheinlich eine Shoah-Überlebende, sondern besäße außerdem viel zu viel Klasse und Stolz, um so schmierigen Typen wie Arthur, der vier Dekaden jünger ist, derart unmoralische Angebote zu machen.

„Ich kann dir nur sagen“, insistiert Arthur, „du warst nicht dabei. Ich habe es zuerst auch nicht glauben können. Das ist ja noch geschmackloser als meine Anne Frank-Storys.“

„Das sei mal dahingestellt“, sage ich. Und dann sage ich noch, dass wir in jedem Fall an diesem Abend, kurz nach Beginn des Shabbats, Delphine Nussbaum unsere Aufwartung machen würden – wir könnten ja jederzeit gehen, wenn es ihm, Arthur, nicht behagen sollte und ohnehin säßen wir nunmehr viel zu lange auf der Terrasse des YMCA und es sei wirklich Zeit, mal etwas anderes zu unternehmen.

„Charlotte hat recht. Absolut recht. Sie hat wirklich keine Ahnung, was ich hier in Israel so mache“, meint Arthur gedankenverloren.

Wir zahlen beim entrückten Kellner, natürlich auch für Delphine. Ich schicke mich an, diesen friedlichen, schattigen Ort zu verlassen. Mein Kater ist fürs erste weg. Doch Arthur bittet mich, kurz sitzen zubleiben.

„Was ist jetzt eigentlich mit den Traveling Wilburys?“ fragt er. Und dann sagt Arthur es noch einmal: „Irgendwie geht die Welt aus dem Leim“, flüstert er.


[Werden wir wirklich mit Delphine Nussbaum Champagner trinken? Und was ist jetzt eigentlich mit den Traveling Wilburys? Fortsetzung folgt. Eventuell im nächsten Post.]

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