Freitag, 24. August 2007

Jewish Princess II

„Ich kann nicht glauben, dass wir die Jewish Princess gefunden haben! Arthur strahlt. „Du bist die schönste Jewish Princess der Welt!“

Sharon, an die diese Worte gerichtet sind, bedankt sich mit einer kleinen Verbeugung. Arthurs Euphorie ist nicht ganz unberechtigt: Nach achtstündiger Suche haben wir endlich jene Bar gefunden, die allmählich schon zu einer fixen, utopischen Idee in unseren vernebelten Köpfen geworden war: Jewish Princess. Es ist fünf Uhr morgens, wir sitzen am Tresen. Ich habe meinen Freund lange nicht so betrunken erlebt. Er redet fieberhaft auf Sharon ein, die hier Platten auflegt und immer wieder Zärtlichkeiten mit ihrer äthiopischen Freundin austauscht. Sie sei nach Tel Aviv gezogen, sagt sie, weil man hier das beste Kokain im ganzen Nahen Osten bekäme. Vielleicht war es ein Witz, doch ich habe so meine Zweifel.

„Wie lange habt ihr denn nun gesucht?“ fragt die D-Jane.

„Von außen ist die Bar wirklich sehr unscheinbar“, sage ich.

„Nur wenn man blind ist.“

„Wenn wir die Jewish Princess nicht gefunden hätten, hätte ich mich im Morgengrauen erhängt“, bemerkt mein Begleiter.

Sharon – die sich bereits mehrfach in aller Deutlichkeit vom komatösen Ex-Premier distanziert hat – setzt ihre Kopfhörer auf.

And we're changing our ways, taking different roads.

„Ich bleibe in Tel Aviv“, murmelt Arthur. „Es geht nicht anders.“

„Findest du nicht, dass es langsam reicht? Fällt dir auf, dass wir beide niemals arbeiten?“

„Wir arbeiten sehr wohl: Wir denken nach. Wir entwickeln Ideen. Wir trinken. Und wir suchen. Und wenn’s nur die Jewish Princess ist, die wir suchen.“

„Und trotzdem werden wir nächste Woche zurück nach Berlin fliegen. Da können wir dann weitersuchen. Ich will nach Hause.“

„Ich kann nicht“, sagt mein Freund. „Der point of no return ist überschritten. Charlotte wird mich massakrieren.“

Da musst du wohl durch, denke ich. Es ist wirklich eine aparte Bar, welche durchaus die Achtstundensuche rechtfertigt. Selbst auf den Toiletten wird sehr viel gelacht. Als ich vom Klo wiederkomme, flüstert Arthur gerade Sharon etwas ins Ohr. Die D-Jane nickt daraufhin.

„Was hast du sie gefragt?“ will ich wissen.

„Ich habe ihr einen Vorschlag gemacht: Let’s get lost! Wanna be my Jewish Kate Moss?“

Ich würde es ihm zutrauen, doch mein Freund steht, soviel ist klar, kurz vor dem Kollaps. Er denkt auch gar nicht mehr an seinen Schuhkarton. Seitdem uns der lachende Zwerg in der Lilienblum Street seine ganz spezielle Theorie zur postmodernen Frau an sich erläutert hat, müssen wir in mehr als zehn verschiedenen Trinklokalen gewesen sein. Und in jedem einzelnen haben wir – auf der Suche nach der verlorenen Jewish Princess – mindestens einen Tequila konsumiert. Zwar kann ich selber kaum noch auf meinem Hocker sitzen, doch verglichen mit Arthur bin ich nüchtern wie ein Mormone.

„Was meinst du, wie ging der Film weiter?“ fragt er jetzt. „Was hat die blaue Blume noch so alles angestellt?“

„Das will ich gar nicht wissen“, sage ich. „Niemals will ich wissen, auf was für Ideen diese durch und durch widerliche Blume noch gekommen ist.“

Am Anfang unserer Suche, in einer Allenby Street-Bar mit 80er-Dekor, wurde ein Film an die Wand projiziert. Titel: The Princess Has Come Of Age. Ein pornographischer Animationsfilm, dessen erste Viertelstunde folgendes erzählt: Eine Prinzessin in irgendeiner fernen Galaxie hat das heiratsfähige Alter erreicht. An Kandidaten mangelt es nicht. Doch einzig der Mann, der all ihre sexuellen Phantasien vollauf befriedigen kann, wird den Zuschlag erhalten. Und der erste Bewerber ist eben diese hundsgemeine Blume, die sich nicht lange bitten lässt und ohne zu Zögern zur Penetration schreitet. Der Prinzessin – so schien es zumindest – gefällt’s. In der Jewish Princess läuft übrigens gerade ein Werner Herzog-Film: Stroyzek, glaube ich.

„Es war keine blaue Blume, sondern eine rote“, merke ich an.

„Sie war blau.“

„Du bist blau. Ich streue eine Prise Salz auf meinen Handrücken. The Jewish Princess has come of age.”

Sprichst du von Delphine Nussbaum?” Arthur lallt, wie ich es gar nicht von ihm kenne.

„Erinnerst du dich?“ Ich klopfe ihm auf die Schulter. „Wir werden nie wieder so unschuldig wie Delphine durchs Leben schwimmen können.“

„Klara“, sagt Arthur.

„Was?“

„Die Clara Bar. Dort hat die kleine Rachel diesen großen Satz gesagt.”

„Ach so. Die Clara Bar. Die kleine Rachel hätte mir übrigens nicht erst im Breakfast Club den ziemlich großen Satz sagen müssen, dass sie mit einem zehn Jahre älteren Investmentbanker verlobt ist.“

Get a taste in my mouth, as desperation takes hold.

Während ich noch an die Frau mit den schwarzen Augen denke, die über Bowie reden konnte wie keine andere, springt Arthur plötzlich auf. Ich begreife erst, was vor sich geht, als ich ihn tanzen sehe. Es gibt hier ja gar keine Tanzfläche, doch er tanzt einsam und wie von Sinnen. Vielleicht ist es auch bloß ein epileptischer Anfall.

When routine bites hard and ambitions are low.

„Hast du dir das gewünscht?“ frage ich.

Sharon grinst: „Endlich tanzt hier mal jemand.“

Ich weiß: „Love Will Tear Us Apart“ ist Arthurs Lieblingslied. Schon immer. Keine allzu originelle Wahl, aber das ist Beethoven auch nicht – und der besitzt als Komponist ja trotzdem seine Qualitäten. Erst vorhin hat mir mein Freund erneut erzählt, wie Ian Curtis in der Nacht vor den Aufnahme-Sessions Frank Sinatra hörte. Forty Greatest Songs. Wieder und wieder. Natürlich wusste ich das längst – man muss nur genau hinhören: Why is the bedroom so cold, turned away on your side? Ein Post-Punk singt hier ganz im Stile eines Crooners, melodramatisch, aber wahr, egal, was er sonst so verbrochen hat.

„Joy Division sind die romantischste Band aller Zeiten“, sage ich, doch niemand hört mir zu.

Als der Song endet, auf diesem furiosen Schlussakkord, mit dem die Musikgeschichte eigentlich für immer vorbei sein müsste, ist Arthur schweißgebadet. Er stützt sich an der Theke ab, greift nach seinem Bier.

Sharons schöne Freundin gibt uns Tequila aus: „Fürs Tanzen.“

„Auf Tony Wilson“, sagt mein Freund. Er verschüttet die Hälfte seines Shots.

„Auf Tony Wilson“, sage ich ernst.

Da wir hier völlig aus der Zeit gefallen sind, haben Arthur und ich erst heute, durch puren Zufall, von Tonys Tod erfahren. Der Gründer des Factory-Labels, auf dem auch „Love Will Tear Us Apart“ – im selben Jahr wie Zappas „Jewish Princess“ übrigens – erschien, ist letzte Woche abgetreten. Ohne Zugabe. Am Rathaus von Manchester wehten die Flaggen auf Halbmast.

Love Will Tear Us Apart ist nicht nur der beste Popsong überhaupt. Arthurs Stimme zittert, doch er spricht jetzt erstaunlich klar: „Es ist mehr als das. Es ist die Essenz von Manchester. Das hat Peter Saville gesagt, in der F. A. Z., ausgerechnet. Und er hat verdammt recht.“

Peter Saville: Grafikdesigner, Genie, Mitbegründer von Factory Records.

Die Essenz von Manchester, hat er gesagt. Eigentlich die Essenz von Pop. Factory, Joy Division, New Order, die Haçienda, Rave. Das ganze große Gesamtkunstwerk. Und all das wurde nur möglich dank dieses einen ungeheuerlichen Opfers: Ian Curtis’ Tod. Sein Selbstmord. Verstehst du?“

Ich reiche ihm eine Serviette, denn Arthur schwitzt wirklich aus allen Poren.

„Gleich zu Beginn, bevor es überhaupt erst losgeht mit Factory und allem, steht da diese eine, gewaltige und vor allem auch gewalttätige Investition. Dank dieser Investition schafft es das Label, ein ganzes Jahrzehnt lang zu überleben, ohne je an Profit zu denken. Ians Opfer hat die Leute zusammengeschweißt und nichts Geringeres als ein modernes Wunder bewirkt.“

„Ein postmodernes Wunder.“

„Da waren keine Drogen im Spiel“, fährt mein Freund leicht manisch fort fast, als stünde er selbst unter Drogen: „Es war keine Krankheit, kein Wahnsinn und auch kein Unfall. Ian setzt sich hin. Er schreibt ‚Love Will Tear Us Apart’ und meint es genau so. Es ist die Wahrheit. Das wäre heute gar nicht mehr möglich.“

„Hat Peter Saville das alles gesagt?“ frage ich.

„Nordengland.“ Er keucht. „Die industrielle Revolution. Kapitalismus. Die jungen Romantiker überall. Das hängt alles eng zusammen. In Manchester träumten die jungen Romantiker damals noch von einem anderen Ort. Einem Ort, an den sie fliehen konnten. Wegen Ian Curtis und Tony Wilson, der sein Label ausgerechnet Factory nannte, also die ganze Industriescheiße in etwas Positives umdeutete, sind die gleichen jungen Leute in Manchester geblieben. Um den Ort zu verändern, an dem sie lebten. Nicht Duran Duran, diese Wichser, sondern die Factory-Leute sind die wahren New Romantics.“

„Was ist denn heute mit dir los? Wieso auf einmal dieses Pathos?“

„Love Will Tear Us Apart – again”, sagt Arthur Müller und stößt mal wieder mit mir an.

Jetzt bin ich ebenfalls blau wie die Nacht.

„Kann es sein, dass du – dass du eigentlich von Klara redest?“ frage ich.

Arthur schaut glasigen Blickes an mir vorbei.

Ich habe letzte Nacht dreimal von ihr geträumt, sagt er und sein Kopf schlägt mit voller Wucht gegen den Stahltresen.


Peter Saville's Alphabet of Colours

8 Kommentare:

Ronja hat gesagt…

LWTUA - als hätten wirs geahnt.

? hat gesagt…

LWNTUA.

Ronja hat gesagt…

sehr beruhigend. BB: well done!

Anonym hat gesagt…

wovon redet ihr hier eigentlich???

Ronja hat gesagt…

Dass, lieber Micha, wird wohl unser Geheimnis bleiben...

Anonym hat gesagt…

joy division sind sowieso overrated. geheimnis hin oder her.

? hat gesagt…

Inakzeptable Äußerungen wie die letzte werde ich in Zukunft mit aller administrativen Gewalt verhindern. Did I make myself clear?

Freddie Jones hat gesagt…

Der hat doch die ganze Zeit Klebstoff geschnüffelt!