Freitag, 10. August 2007

The Sound of Silence

from: charlotte.sevigny@abc-consulting.de

to: arthurrimbaud3@gmx.li

date: 08. 10. 07 /03. 11 a. m.

subject: The Sound of Silence

Lieber Arthur,

Du bist jetzt seit mehr als fünf Wochen verschwunden, es ist fast, als hätte es Dich nie gegeben. Keine Mails. Nicht ein einziger Anruf. Nur eine Postkarte. Vielen Dank, das Motiv (kleiner Junge mit Kalaschnikoff – Du erinnerst Dich vielleicht) hat mir ausnehmend gut gefallen. Auch der Text – von David Bowie, glaube ich, aber ich habe ja keine Ahnung – war sehr informativ. Immerhin warst Du zu diesem Zeitpunkt offenbar noch am Leben. Niemand sonst hätte mir so eine Postkarte geschickt, nicht mal, wenn Du ihn dafür bezahlt hättest. Ich weiß, wir hatten etwas Funkstille vereinbart, das war auch gut so. Aber die Stille wird langsam ein bisschen zu still. Und ich werde immer fetter. Es passieren ganz komische Dinge mit mir, sie sind nicht immer schön. Gestern habe ich Deiner Tochter – unserer Tochter – wieder Musik vorgespielt. Ziemlich postmoderne Musik, keine Angst. Serge Gainsbourg lässt Du hoffentlich durchgehen. Sie hat sofort darauf reagiert und mich minutenlang getreten. Ich weiß nicht, ob das gut ist. Kleine Mädchen, die in diesem Alter schon zu Gainsbourg tanzen, sind eigentlich geliefert, hat Lulu gesagt – und die weiß, wovon sie spricht. Aber Dir wird der Gedanke bestimmt gefallen. Sofern es Dich irgendwie interessiert. Ich weiß, dass Du mich nicht wirklich liebst. Ich liebe Dich ja auch nicht – oder nur ein bisschen. Ja, ein bisschen schon. Vielleicht. Wir müssen da trotzdem zusammen durch, könnte ich jetzt sagen. Aber ich bin mir da nicht so sicher. Vielleicht mache ich es lieber ganz alleine. Ohne Dich. Vielleicht ist es auch besser für das Kind. Wie stellst Du Dir das alles eigentlich vor? Was für ein Vater möchtest Du sein? Es kommt mir so vor, als ob wir uns fast gar nicht kennen würden. Obwohl wir seit zwei Jahren das sind, was man normalerweise ein „Paar“ nennen würde, bist Du für mich ein Fremder geblieben. Ich habe keine Ahnung, wo Du bist. So lange kann man doch gar nicht durch dieses beschissene kleine Israel reisen. Es ist mir egal, ob Du andere Frauen flachlegst, aber ich würde wenigstens gerne wissen, wo Du Dich aufhältst. Vielleicht bist Du längst auf den Galapagos-Inseln. Oder in Afghanistan. Was ist eigentlich mit Deinem Freund? Muss der nicht irgendwann wieder arbeiten? Seid Ihr beide jetzt ein Paar? Apropos, ich habe gestern übrigens eine Mail von Deinem Cousin Konrad, den ich – im Gegensatz zu Dir – wirklich gerne mag, bekommen. Ihm geht es gar nicht gut. Er meint, ihr hättet ihn nicht mal im Krankenhaus besucht, obwohl er schwer verletzt war. Na ja, das wäre ja auch ein Wunder, denn in welchem Krankenhaus gibt’s schon ausreichend Bier und Popmusik, dass Ihr es dort länger als fünf Minuten aushalten würdet. Ich halte es hier nicht mehr aus. Der Himmel über Berlin ist heute mal wieder trist und grau, wie fast jeden Tag. Dieser Sommer ist die Hölle. Nachher muss ich zum Ultraschall. Alleine. Alle meine Freunde (außer Lulu, doch die hat ja nie Zeit) sind verreist, es ist ein bisschen wie Paris im August. Nur Touristen in den Straßen und in der U-Bahn. Sogar in meiner kleinen langweiligen Straße sind Touristen. In meiner Straße, wo es rein gar nichts zu sehen gibt außer einer fetten Kuh auf dem Balkon, die versucht, nicht zu rauchen. Die Unterschicht ist auch noch hier. Touristen, Proleten und ich. Wie schön. Ich wollte morgen mit Lulu auf ein Festival fahren, aber das hat ja keinen Sinn in diesem Zustand. Diesem Bionade-und-Kaugummi-Zustand, der mich langsam, aber sicher fertigmacht. Am liebsten würde ich sofort wegfliegen. Egal, wohin. Nur nicht nach Israel. Doch anders als Du, der Du immer machst, was Du willst, bin ich hier angebunden. Ich fühle mich wie ein Sträfling mit so einer Eisenkugel. Meine Mutter nervt. Mein Chef nervt. Alles nervt. Ich schreibe Emails ins Nichts, mitten in der Nacht, ohne jemals eine Antwort von Dir zu erhalten. Aber keine Sorge, ich beschwere mich nicht. Du willst immer mit beiden Händen ganz tief ins Leben hinein greifen, hast Du gesagt. Doch ich empfinde dieses Leben manchmal nur als sehr, sehr anstrengend. Ich weiß nicht, ob Du das verstehen kannst – und irgendwie will ich es auch gar nicht mehr wissen.

Fuck yourself.

Charlotte


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