Donnerstag, 30. August 2007

A Teenage Symphony to God

Diese Schlampe! Arthur tritt gegen einen Heineken-Sonnenschirm. Wie kann ein Mensch nur zu so etwas fähig sein!

„Vielleicht hat sie Deine Traveling Wilburys-CD ja gar nicht wirklich zerstört. Möglicherweise war es nur eine Art Warnung. Außerdem braucht niemand diese Platte.“

„Sie hat achtzehnmal mit dem Hammer draufgeschlagen. Charlotte ist zu einem schwangeren Monster geworden. Und so eine nennt sich dann in ihrer Mail auch noch Pazifistin! Nach diesen Kriterien wäre ja selbst Saddam Hussein ein Pazifist.“

„Dein Gesicht sieht übrigens etwas besser aus“, sage ich. „Ein bisschen besser.“

Arthur ist noch immer schwer gezeichnet. Der Zusammenprall mit dem Tresen in der Jewish Princess hat grauenhafte Spuren hinterlassen: diverse Schrammen, eine aufgeplatzte Schläfe, die wir noch am selben Morgen nähen lassen mussten, sowie ein ziemlich blaues rechtes Auge. Eigentlich ist es eher grün-gelb. Love Will Tear Us Apart. Vorhin, in der Sheinkin Street, wollte mein eitler Freund sich zu Camouflage-Zwecken eine neue Sonnenbrille zulegen. Er hatte auch schon eine ausgewählt. Allein, die Verkäuferin zeigte sich wenig entgegenkommend: Es gäbe da offensichtlich ein kleines Problem mit seiner VISA-Karte, vielleicht eine technische Störung, sie könne da jetzt auch nichts machen. Wie Diebe zogen wir von dannen, leider ohne Beute. In jenem Moment hat Arthur, glaube ich, begriffen, dass es Zeit ist, nach Hause zu fahren. Wir suchten sofort im Anschluss ein Internet-Café auf – mein Freund, der diese Einrichtungen lieber meidet, wartete draußen und ich buchte unseren Flug. Da er Charlotte, wie man verstehen kann, nicht um Geld bitten will, musste ich für sein Ticket aufkommen. Es handele sich doch bloß um Zahlen und Figuren, sagte Arthur, das sei einfach nicht seine Welt. Aber er würde mir den Betrag schon zurückzahlen – und wenn er dafür auf den Strich gehen müsse, im arktischen Berliner Winter.

„Ich betrachte mein blaues Veilchen als Tribut an Tony Wilson“, erklärt Arthur nun, während wir die Strandpromenade von Jaffa entlang schlendern.

Es ist heute sehr stürmisch, die Wellenreiter tanzen auf der Meeresoberfläche.

„Veilchen sind immer blau“, sage ich. „Das liegt im Wesen dieser Blumenart.“

„Ich will nicht nach Berlin. Berlin ist dumpf und depressiv. In Deutschland beginnt gerade der Herbst, falls du es vergessen haben solltest.“

Doch es ist nur ein letztes Aufbäumen. Ich weiß, auch Arthur wird in dieses Flugzeug steigen. Ihm bleibt keine andere Wahl. Das Heilige Land ist erobert. Ich selber kann keinen Humus mehr sehen. Und ein kleiner Arthur-Break wäre, ehrlich gesagt, ebenfalls mal ganz reizvoll.

I may not always love you, but as long as there are stars above you

„Immerhin“, bemerkt mein Gefährte, „kehre ich als Invalide in die Heimat zurück. Das ist gut. Frauen – jedenfalls die prämodernen Frauen, und von denen sind wir ja umgeben – lieben Invaliden. Verwilderte Krüppel wie mich, die aus heißen Ländern verwundet nach Hause zurückkehren. Bei Charlotte bin ich mir da allerdings nicht so sicher. Die wird denken, ich war in einem jüdischen S/M-Club.“

„Warst du ja auch.“

„Ja, aber das ist nicht der Grund für dieses blaue Auge.“

„Behaupte einfach, es war ein Terroranschlag“, sage ich. „Hast du Charlotte eigentlich jemals von Klara erzählt?“

„Natürlich nicht. So geisteskrank bin nicht mal ich. Es gibt da ohnehin nichts zu erzählen. Ich hoffe nur, es meldet sich irgend jemand auf meine Annonce. Dann drehe ich diesen Film.“

„Ich weiß auch fast nichts über Klara.“ Irgendwie lässt mich das Thema nicht los. „Du redest nie von ihr.“

Arthur schaut mich an, monströs und sichtlich melancholisch. Nach etwa zwei Minuten sagt er folgendes: „Je mehr ich darüber nachdenke, desto deutlicher erscheinen mir Tony Wilson und sein ganzes Factory-Konzept als eine neoromantische Bewegung. Und da ging es eben nicht nur um Mode, wie bei Spandau Ballet und Adam and the Ants. Beschissene Bandnamen, übrigens.“

„Allerdings.“

„Es ging um Schein und um Substanz. Um eine Vision von neuen, noch nicht entdeckten oder längst vergessenen Welten, die beides verband.“

„Ich weiß nicht“, sage ich. „Tony Wilsons ganzes Auftreten hat auf mich nie besonders romantisch gewirkt.“

„Weil Du zu viele Frauenzeitschriften liest. Man kann auch Romantiker und Arschloch zugleich sein.“

„Schon möglich“, erwidere ich, indem ich mich nach einer fabelhaften Frau umdrehe. „Man kann auch ein normales und ein blaues Auge haben. Und noch dazu ein Arschloch sein.“

„Außerdem sind alle Wilsons Romantiker.“

„Was?“

„Klar“, sagt Arthur. „Lass uns doch mal eine kleine Liste machen. Ich habe angefangen: Tony Wilson. Jetzt bist du dran.“

Ich kann nicht mal richtig schwimmen, geschweige denn, auf Wellen reiten, doch in diesem Moment wirken die Surfer im lichtblauen Mittelmeer auf mich wie die glücklichsten Menschen der Erde. Wie Delphine springen sie lachend von Welle zu Welle. Vielleicht sollten wir doch hier bleiben. Abwarten. Überwintern. Uns lange Bärte wachsen lassen – und surfen lernen.

„Woodrow Wilson“, sage ich.

„Perfekt.“ Arthur gibt mir High-Five. „Woodrow Wilson: Idealist. Völkerbund. Nicht geschaffen für diese Welt. Der größte Romantiker unter allen amerikanischen Präsidenten.“

„Was ist mit Kennedy?“

„Gar nichts ist mit Kennedy. Jetzt bin ich wieder dran. Ich sage: George Wilson.“

„George Wilson?“

„Der Automechaniker in Fitzgeralds Great Gatsby. Der immer ausbrechen will aus seinem Elend, gemeinsam mit seiner Frau, die er abgöttisch liebt. Die Frau will aber lieber die Mätresse des reichen Polospielers sein, weil der ihr ein Schoßhündchen kauft und einen Funken Glamour in ihr Leben bringt. Als sie überfahren wird, stirbt Wilson gleich mit. Er kann gar nicht mehr weiterleben ohne seine große Liebe. Aber vorher tötet er noch Gatsby.“

„Nicht schlecht“, sage ich und überlege weiter.

„Beide sterben. Neben Gatsby, dem König, ist dieser Wilson der einzige wirkliche Romantiker in der Geschichte. Er wohnt an einem unfassbar tristen Ort namens Valley of the Ashes und will da raus. Das Manchester-Syndrom.“

You'll never need to doubt it, I'll make you so sure about it.

Mir fällt etwas ein: „Der Volleyball ‚Wilson’“, sage ich.

Arthur versteht mich nicht, was selten vorkommt.

„‚Wilson’ heißt auch der Volleyball in diesem unsäglichen Tom Hanks-Film. Tom Hanks auf einer einsamen Insel. Er spricht die ganze Zeit mit einem Ball der Firma Wilson.“

„Aber ist dieser Volleyball deshalb ein Romantiker?“ fragt mein Freund skeptisch.

„Er ist Hanks’ einziger Gesprächspartner. Im Film redet er zwei Stunden lang nur auf diesen Ball ein. Dadurch wird ‚Wilson’ – so nennt er ihn – zu einer Projektionsfläche für seine Träume und Sehnsüchte. Man kann auch romantisches Symbol und ein besonders irrwitziger Auswuchs von Product Placement in einem sein.“

„Einverstanden.“ Arthur nickt. „Postmoderne Romantik. Okay. Aber jetzt kommt der Höhepunkt.“

„Die Brüder Luke und Owen Wilson?“

„Nein. Nein, nein, nein. Ich rede von Brian Wilson.“

„Scheiße“, sage ich, „das ist gut.“

„Brian Wilson. Beach Boy ohne Beach und ohne Boy. Fast alle Surfer sind ja komplette Idioten, doch einen gewissen romantischen Appeal kann man ihrem Lebensstil nicht absprechen. Und was ist das einzige, was noch romantischer ist als dieses Leben in den Fluten?“ Arthur macht eine Pause. „Nicht zu surfen“, fährt er fort, niemals überhaupt auch nur zum Strand zu gehen, aber immer von der Sehnsucht danach zu singen. Brian Wilson musste sich von seinem Bruder Dennis erzählen lassen, wie sich Wellen eigentlich anfühlen. Dann hat er seine Songs darüber komponiert.“

„Er hat sich sogar Strandsand ins Studio kommen lassen.“

„Das war gar nicht nötig. Nur ein billiger Trick. Wichtig ist, was sich in seinem Kopf abspielte.“

Arthur klopft unwillkürlich gegen seine lädierte Stirn, zuckt zusammen.

„Und dann dieses Album“, sage ich, „Smile, das nie fertig wird, und das auch nie fertig werden darf, sonst wäre er verloren.“

„Wie nannte er es noch mal?“

Ich atme tief durch: A Teenage Symphony to God.”

„Amen“, sagt Arthur. „Dabei war er nie wirklich ein Teenager. Wahrscheinlich hatte er auch nie wirklich Sex. Doch spätestens bei Smile hatte Brian Wilson Sex mit Engeln. In aller Unschuld und in aller Schuld. Das kann man hören. Zwei Minuten metaphysischer Chorgesang genügen. Das ewig nachhallende Echo eines kosmischen Orgasmus.“ Mein Freund lächelt erstmals am heutigen Tag. „Und Sex mit Engeln“, fährt er fort, „ist per se niemals reaktionär – wie es die frühen Beach Boys-Songs vielleicht noch sind. Abgesehen davon war und ist der Mann komplett wahnsinnig, was uns aber egal sein kann. Außerdem war er bereits als Kind auf dem rechten Ohr taub und konnte deshalb niemals stereo hören. Gottes Strafe: Der Herr wusste, dass dieser kleine dicke Brian Wilson eines Tages seine Engel ficken würde.“

„Du bist auf dem rechten Auge blind.“

Es dämmert schon, wir haben nun Banana Beach erreicht, die Surfer draußen kehren langsam in die Trockenwelt zurück. Sie schälen sich aus ihren Neoprenanzügen.

„Komm“, sagt Arthur und tätschelt meinen Nacken, „wir gehen eine Bionade trinken.“

3 Kommentare:

Nickchen hat gesagt…

ja. es ist mir klar. die postmoderne ist eine spielart, eine form als inhalt und umgekehrt. aber warum muss man sich an den wilson volleyball aus einem tom-hanks-film erinnern, dieses leder als neoromantisch bezeichnen, und tom hanks pranken damit in ein äquivalent von peter savilles händen verwandeln? schlagartig wird mir das problem dieser postmoderne bewusst.

Anonym hat gesagt…

Hey, Arthur, warst Du wirklich in einem S/M-Club? In Tel Aviv?

? hat gesagt…

Die komplette, hinreißende "Abstand vs. Konrad"-Debatte ist ab jetzt unter "Wir brauchen Abstand" zu finden. Ungekürzt und unzensiert.