Freitag, 14. September 2007

5768

„Lidl wäre auch eine Option“, sagt Arthur. „Lass uns doch zu Lidl gehen, da waren wir lange nicht mehr.“

„Stimmt. Aber wir bleiben jetzt hier.“

„Ich kaufe nun mal lieber bei Discountern ein“, jammert mein Freund.

Wir sind gemeinsam auf dem Markt am Maybachufer, ausnahmsweise scheint in dieser Stadt die Sonne. Es ist eine Versöhnungsgeste. Wir kaufen ein für Lulu und Charlotte und unser gemeinsames Wochenendabendessen. Angesichts der herbstlichen Stimmung hat Charlotte ein Raclette vorschlagen, dann müsse, so Arthurs Freundin, auch niemand kochen, schon gar nicht Lulu. Arthur und ich hätten ja soviel Zeit und könnten die nötigen Besorgungen erledigen. Und deshalb stecken wir nun mitten im Gedränge fest.

„Es gibt hier eine erstaunlich hohe Anzahl erstaunlich dicker Frauen mit Kopftüchern, die sich in rabiatester Manier ihren Weg bahnen“, sage ich und weiche in letzter Sekunde einem Zwillingskinderwagen aus.

Arthur zieht einen Fünfeuroschein aus der Tasche: „Das ist mein gesamtes Barvermögen. Ich fürchte, meine Kreditkarte wird auf Jahre hinaus nicht einsatzfähig sein. Ich konnte gerade noch so die Annonce bezahlen.“

Endlich ist sie erschienen: Arthurs Anzeige. „Dringend gesucht: Postmoderne Frau.“ Plus Emailadresse. Sonst nichts. Ich hätte den Text ja ein wenig ausführlicher formuliert. Sehr effektiv war die Annonce bisher jedenfalls nicht: In den ersten 48 Stunden seien, so mein Freund, weder post-, noch prämoderne, noch sonstige Bewerbungen eingegangen und eigentlich sei das gesamte Projekt sowieso von vornherein zum Scheitern verurteilt.

„Vielleicht meldet sich Klara“, sage ich.

„Das wäre wirklich zu billig“, erwidert Arthur und setzt sich meine Sonnenbrille auf. „Was für ein idiotischer Gedanke. Wie gedenkst Du eigentlich Deinen Geburtstag nachzufeiern?“

„Bier, Humus, Karaoke. Was sonst.“

„Bei Aldi in Spandau hat es mir wesentlich besser gefallen als auf diesem Markt. Der Weihrauchduft ist unerträglich.“

Zu unserer Linken wird in der Tat eine Substanz namens „Elbenzauber“ angeboten. Daneben gibt es feinste internationale Mode – „Restposten aus Paris“.

„Ich habe entschieden, heute nicht zu lügen“, sagt ein türkischer Gemüsehändler zu einer Kundin.

„Gleich passieren wir die schönste Frau des ganzen Marktes“, bemerkt mein Freund.

Seit Jahren schon preist er mir die Vorzüge einer gewissen Blumenhändlerin hier am Ufer. Sie ist etwa Anfang vierzig und meines Erachtens zwar keine außerirdische Schönheit, doch ich verstehe schon, was Arthur meint. Allein: Postmodern ist dieses Blumenmädchen nicht – zumal man sie niemals ohne Kopftuch sieht.

„Ich wäre da nicht so vorschnell“, sagt mein Begleiter, während er sich durch die Menschenmenge schiebt. „Wer weiß schon, wie viele hochgradig postmoderne Frauen sich beispielsweise unter Burkas verbergen.“

„Keine einzige, würde ich sagen.“

„Möglicherweise werden Burkas sogar schon sehr bald so modisch sein wie Palitücher.“

Talitücher?“

„Dieses Raclette wird die Hölle“, murmelt Arthur. „Ich weiß nicht, was das Ganze soll.“

„Von Deiner Anzeige sollten wir bei Tisch wohl besser nicht reden.“

„Ist auch egal. Wahrscheinlich würden wirklich postmoderne Frauen sich ohnehin nicht auf so eine Annonce bewerben. Sondern eher, ganz spielerisch, auf eine richtige Kontaktanzeige. Wie sie am Wochenende in den großen Zeitungen erscheinen.“

„‚Reeder, zuhause auf allen Weltmeeren, attraktiv, sportlich und finanziell unabhängig, sucht nach Schicksalsschlag neues Glück.’“

„Genau. Darauf würde ich auch antworten.“

Zwei Ausflugsboote fahren vorbei, „Spreeprinzessin“ und „Delphin“. Die Stadtführer beten allerlei belanglose Statistiken herunter. Arthur wirkt lädiert und deprimiert wie lange nicht, er antwortet schon gar nicht mehr auf meine Fragen.

„Wir können auch morgen noch einkaufen“, sage ich also. „Jetzt gehen wir in die Ankerklause und feiern das jüdische Neujahrsfest. Heute beginnt das Jahr 5768.“

„Das ist doch mal eine Idee mit Überzeugungskraft. Wenn das neue Jahr nicht besser wird als das alte, springe ich in diesen Kanal. Glaub' mir: Ich habe entschieden, heute nicht zu lügen.“

Der Krishna-Jünger mit seinem Gitarrenverstärker summt sein sanftes Mantra, eine Bettlerin fragt uns nach Kleingeld. Arthur zückt den Fünfeuroschein und stopft ihn in ihren Plastikbecher.

„Frohes neues Jahr“, sagt er grimmig.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

happy new year!

? hat gesagt…

Cheers.