Donnerstag, 27. September 2007

Dire Straits

„‚Der DJ legt chillige Musik auf. Der Raum ist in rötliches Licht getaucht. Mal geht ein Bier, mal ein Energy-Drink über den Tresen. Alles im Safe-Club deutet auf einen ganz normalen Discoabend hin. Doch etwas ist anders: Niemand tanzt, niemand steht herum. Diszipliniert sitzen die Besucher an wabenförmigen Tischen. Pokertischen.’“ Arthur reicht mir die neueste Ausgabe des Kundenmagazins der Berliner Sparkasse. „Findest du es seriös“, fragt er mich, „dass ausgerechnet die Sparkasse das allgemeine Pokerfieber noch weiter anheizt? Schau mal hier: ‚Onlinepoker zu Livepoker – das ist wie Onlinesex zu echtem Sex.’ Bei so einem Institut würde ich mein Geld jedenfalls nicht anlegen.“

„Du hast kein Geld“, sage ich, „deshalb sind wir ja hier.“

Sparkasse, Hackescher Markt. Bunte Blätter bedecken die Piazza, wir bringen mal eben unsere Schäfchen ins Trockene. Die Schlange ist erschreckend lang. Arthur und ich warten darauf, dass sein ganz persönlicher Berater ein paar Minuten für ihn erübrigen kann. Ich musste meinem Freund versprechen, ihn zu diesem Anlass – völlig aussichtslose Verhandlungen über eine eventuelle Erhöhung seines Dispo-Kredits – zu begleiten. Ohne mich würde er das nicht durchstehen, sagte er. Arthur Müller in einer Sparkassenfiliale – das ist tatsächlich wie Bin Laden im Pentagon, wie Liam Gallagher auf der Geburtstagsfeier seines Bruders Noel, wie Ariel Sharon auf dem Tempelberg: die Höhle des Löwen erscheint dagegen als Streichelzoo. Doch Arthur blieb schlicht keine Wahl. Er ist den ganzen Weg hierher zu Fuß gegangen, weil er kein Geld für die U-Bahn hatte und bereits wegen mehrfacher Beförderungserschleichung von der Justiz verfolgt wird. Die Hitze in diesem Raum ist kaum auszuhalten. Über einem Kontoauszugsdrucker hängt ein Plakat. Es zeigt ein junges Liebespaar auf einem Balkon und soll vermutlich zu besonders passioniertem Sparen animieren.

Juliet, the dice were loaded from the start

„Als ich vorhin online meinen Kontostand prüfen wollte“, erzählt Arthur jetzt, „ist mein Rechner zweimal abgestürzt. Wahrscheinlich wird mein persönlicher Berater sofort die Polizei rufen. Oder ein Killerkommando.“

„Tot nützt du ihnen gar nichts.“

„Doch. Sie könnten sich auf diese Weise immerhin an meinem Zahngold bereichern. Ist dir bewusst, wie hoch der Goldpreis zur Zeit ist?“

„Nein“, antworte ich, „das ist mir nicht bewusst. Wieso hast du dein Konto eigentlich bei dieser Filiale hier?“

Sein Gesicht nimmt einen träumerischen Ausdruck an: „Damals, als ich vom Kottbusser Tor an den Hackeschen Markt gewechselt bin, hatte ich noch den Anspruch, ein Mover and Shaker zu werden. Und dieser Anspruch sollte sich auch in der Wahl meiner Sparkassenfiliale manifestieren.“

„Verstehe. Klingt natürlich besser als ‚Stadtsparkasse Castrop-Rauxel’.“

Die Schlange bewegt sich keinen Zentimeter. Ganz Mitte lebt offenbar über seine Verhältnisse.

„Ich könnte vielleicht“, sinniert Arthur, „notfalls die Weltbank um einen Kredit bitten.“

„Wenn irgend jemand Entwicklungshilfe verdient, dann du.“

„Falls das hier heute nicht klappt, werde ich sofort Bob Geldof – Sir Bob Geldof – oder Bono anrufen. Auf die ist immer Verlass.“

„Du könntest so viel unbeschwerter leben“, sage ich. „mit der flexiblen Kopf-Frei-Vorsorge und staatlicher Förderung. Hast du eigentlich schon mal über deine Rente nachgedacht?“

„Renteneintrittsalter: sofort. Das werde ich gleich in die Wege leiten.“

„Wie geht’s Charlotte?“ frage ich.

„Ich habe den Dispo-Kredit ja damals eigentlich beantragt“, sagt Arthur, „damit mein Konto zukünftig genauso spontan reagiert wie ich.“

„Du hättest lieber ein KNAX-Konto eröffnen sollen“, sage ich. „Da gibt’s keinen Dispo.“

„Was für ein Konto?“

Mein Freund weiß nicht, wovon ich rede. Seine Eltern, behauptet er ernsthaft, hätten ihm in seiner Kindheit das von ihm dringlich gewünschte eigene Konto verwehrt, damit er auf gar keinen Fall den korrekten Umgang mit Geld erlernen würde – eine Strategie die sich fraglos als erfolgreich erwiesen hat. Ich selbst hingegen besaß – wie fast jedes Kind, glaube ich – ein KNAX-Sparkonto, auf das immer mal wieder ein paar Mark meines Taschengeldes flossen. Die Rendite nach zwölf Monaten betrug etwa siebzig Pfennig. Ich erinnere mich daran ohne jede Sentimentalität, eine etwaige Generation KNAX wollen wir hier gar nicht erst heraufbeschwören. Denn schon damals empfand ich die alle zwei Monate erscheinenden Comic-Hefte, die den juvenilen Kontoinhaber durch das Jahr begleiteten und immer noch begleiten, als eher humorlos und etwa so unterhaltsam wie die Apotheken Umschau, obgleich mir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht klar war, mit welch skrupelloser kapitalistischer Indoktrination ich es zu tun hatte.

„Sei froh, dass du damit verschont wurdest“, sage ich zu Arthur.

Ich schere kurz aus der Schlange aus und bitte die Dame am Schalter um die aktuelle Ausgabe des KNAX-Magazins. Plötzlich kommt alles zurück: Die entlegene Insel Knax, wo das Volk der Knaxianer in einer mittelalterlichen, auf Agrarwirtschaft basierenden Dorfgemeinde haust. Diese Menschen, die Namen wie Pomm-Fritz, Pomm-Friedel und Pierre Kattun (der Schneider und Künstler) tragen, sind beinahe ausschließlich mit Arbeiten und Putzen beschäftigt, bisweilen gibt’s zur Belohnung ein gutes Essen. Doch das Böse ist nicht weit: Die Feinde der fleißigen Knaxianer hausen auf Burg Fetzenstein – eine faule Schar finsterer Räuber, angeführt vom Hauptmann Fetz Braun, die ewig danach trachtet, den Knaxianern die Früchte ihres redlich erworbenen Reichtums abzuluchsen. Naturgemäß ohne Erfolg. Zur Strafe muss Fetzens Bande am Ende jeder Episode härteste Sklavenarbeiten für die Knaxianer verrichten.

„Aber diese Faulpelze haben es ja auch nicht anders verdient“, sage ich.

„Ich identifiziere mich bereits jetzt mit der tragischen Figur des Fetz Braun“, erwidert Arthur. „Wir müssen uns Fetz Braun als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

„Die Helden der Geschichten sind ein Junge und ein Mädchen, die offenbar keine Erziehungsberechtigten haben. Man denkt immer, nun könnte sich doch mal eine Romanze zwischen den beiden entwickeln, doch natürlich kommt es nie dazu. Sie heißen Dodo und Didi.“

„Dodi und Di?“ Arthur lacht.

„Natürlich gibt es auf der Insel KNAX auch eine Sparkassenfiliale. Außerdem veranstalten die deutschen Sparkassen jedes Jahr die so genannte KNAXIADE, die der körperlichen Ertüchtigung der deutschen Kinder dienen soll und verdächtig paramilitärische Züge trägt.“

„Warum nennen sie es nicht einfach Spartakiade?“

Ich blättere das Heft durch. Abgesehen von einem Interview mit irgend einer Teenie-Band, in dem deren Mitglieder übers Sparen an sich philosophieren, und ein paar DVD-Tipps hat sich seit den Achtzigern praktisch nichts verändert. Selbst die im Jahr 2007 völlig anachronistisch anmutende Brieffreundschaftsseite existiert noch. Einen Moment lang bin ich fast gerührt. Allerdings erscheint es heutzutage befremdlich, dass dort Kontaktgesuche neunjähriger Mädchen mit vollem Namen und Adresse abgedruckt sind.

„Vielleicht solltest du lieber im KNAX-Heft inserieren“, sage ich. „Zum Beispiel: ‚Arthur Müller (31). Quadrat U6 Hausnr. 14, 68161 Mannheim. Hobbys: mein Meerschweinchen Mimi, Reiten, Chatten, Diddl sammeln, KNAX lesen sowie Postmoderne Frauen.’“

„Einen Moment, bitte“, entgegnet Arthur.

And I bet and you exploded in my heart

Mein Freund öffnet seine Umhängetasche und holt einen alten Bekannten heraus – den Schuhkarton. Während die anderen Menschen in der Schlange kleine Ordner mit Kontoauszügen in den Händen halten, trägt Arthur seine Privatkollektion amouröser Briefe bei sich – Auszüge und Momentaufnahmen eines permanent zwischen Soll und Haben oszillierenden Liebeslebens.

„Der Schuhkarton“, sage ich.

„In der Tat.“

„Ich dachte, Du hättest dich, nun ja, von ihm gelöst.“

„Schon möglich“, erwidert Arthur. „Aber hierher, an diesen kalten und entfremdeten Ort, musste ich ihn einfach mitnehmen. Ich brauche jetzt ein bisschen Liebe, ein bisschen Poesie.“

„Das leuchtet ein.“

„Außerdem sind zwei neue hinzugekommen.“

„Liebesbriefe?“

„Nicht direkt Liebesbriefe. Es sind E-Mails. Zwei Individuen haben auf meine Annonce geantwortet.“

Zunächst will ich es nicht glauben. Doch tatsächlich belegt die Adresszeile beider Ausdrucke, die Arthur mir nun präsentiert, dass es sich um Bewerbungen an postmoderngirl@gmx.li handelt. Seine Anzeige in einem Berliner Stadtmagazin trägt also erste Früchte – wenngleich nicht die schmackhaftesten und, vor allem, nicht die postmodernsten, wovon das erste Schreiben Zeugnis ablegt.

„‚Hallihallo’“, liest Arthur mit gequälter Miene vor. „‚Vielleicht bin ich nicht gerade super-hyper-postmodern, aber ich arbeite immerhin bei der Post und habe auch sonst eine Menge zu bieten. Ich bin sehr humorvoll und finde, jeder Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag. In meiner Freizeit singe ich übrigens in einer Rock-Gruppe.’“ Mein Freund schaut mich an. „Rock-Gruppe. Das steht da wirklich. Und dann: ‚Unser halbes Dutzend Fans sagt, wir klingen wie eine Mischung aus Silbermond und Wir sind Helden...’“

„Okay, das reicht“, sage ich.

„Allerdings.“ Arthur zerknüllt den Zettel mit einer Hand und wirft ihn in den Papierkorb neben den Kontoauszugsdruckern. „Das Ganze auch noch ohne Foto. Und ein extrem detaillierter Lebenslauf ohne Geburtsdatum. Als Personalchef hat man’s nicht leicht. Die zweite Bewerbung klingt da wesentlich interessanter.“

„Lies vor.“

„Es ist nur ein einziger Satz, hör’ zu: ‚Die postmoderne Frau ist – ebenso wie der postmoderne Mann – unsternbedroht und dem Untergang geweiht; der Sinn liegt aber in der Suche selbst.’“

Unsternbedroht? Was ist denn das für ein Wort?“

„Keine Ahnung. Aber es klingt nicht gerade positiv.“

„Irgendjemand spielt da mit dir. Vielleicht Charlotte und Lulu. Oder Klara.“

„Glaub’ ich nicht.“ Er schüttelt den Kopf. „Wie sollen die davon wissen? Die Absenderadresse erlaubt jedenfalls keinerlei Aufschlüsse.“

„Wirst du antworten?“ frage ich.

And I forget the movie song
when you wanna realize it was just that the time was wrong, Juliet?

In diesem Moment tritt ein silberhaariger Mann vor uns aus der Schlange und verkündet wutschnaubend, dass er angesichts dieser DDR-Wartezeiten hier lieber die Bank wechseln wolle, als sich noch weiter die Beine in den Bierbauch zu stehen. Doch niemand außer uns hört ihm zu – und niemand außer Arthur und mir bemerkt, dass der flüchtende Herr ein T-Shirt mit dem verwaschenen Aufdruck Dire Straits trägt.

„Dire Straits“, murmelt Arthur. „Auch kein schlechter Name. Noch eine Lieblingsband von Diana.”

„Der Fall liegt aber wesentlich komplizierter als bei Duran Duran oder Chris de Burgh“, sage ich. „Dire Straits haben sich nämlich erst graduell zu einem durch und durch abstoßenden Produkt entwickelt.“

Man muss sich das mal vorstellen: Im explosiven Punk-Jahr 1977 drehen Mark Knopfler und seine Angestellten in den Pubs die Verstärker herunter, damit das Publikum während der Show Konversation betreiben kann. Fast schon wieder subversiv, könnte man meinen. Die ersten beiden Platten klingen leicht und lässig. Doch bald folgt bekanntlich Stadionrock der übelsten Sorte. Dire Straits gerieren sich schwerfällig, bieder und gierig, verseuchen den Äther mit Musiksondermüll wie „Walk of Life“. Sie werden gewissermaßen zur Sparkasse unter den Gitarrenbands – ebenso vermögend, so omnipräsent und so langweilig. Nicht umsonst tummeln sich auf den Konzerten Tausende ganz persönliche Sparkassenkundenberater in bunten kurzärmligen Hemden, die dann vor allem bei „Money for Nothing“ lauthals mitsingen.

„Mit dem Album Making Movies etwa kippte das Ganze“, bemerke ich. „,Romeo and Juliet’ ist schon ein Grenzfall.”

Arthur nickt: „Stimmt. Herr Knopfler bewegt sich hier auf äußerst dünnem Eis: ‚Juliet, when we made love you used to cry – you said I love you like the stars above, I’ll love you, baby, till I die!’ Das ist nicht romantisch. Das ist Kitsch.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher. Zumal die Vergeblichkeit dieser Liebe immer wieder betont wird: The dice were loaded from the start. Du musst das Ganze auch vor dem Hintergrund des Shakespeare-Stücks sehen – und das ist ja wohl romantisch.“

„Ich hasse Shakespeare.“

„Shakespeare kann man nicht hassen“, erwidere ich. „Das ist so, als ob man Pizza hassen würde. Oder Bier.“

„Ich mag Pizza“, sagt mein Freund versonnen. „Und Bier auch. Charlotte liest immer Shakespeare auf ihrem kleinen Balkon. Handelt der Dire Straits-Song ‚Tunnel of Love’ eigentlich von Princess Diana und ihrem Dodi?“

Wir sind jetzt die ersten in der Schlange. Die große Schlacht steht kurz bevor.

„Außerdem“, fahre ich fort, „zitiert ‚Romeo and Juliet’ ja noch Passagen aus West Side Story, also einer modernen Shakespeare-Variation. Dire Straits liefern hier ein vorzügliches Beispiel für postmoderne Romantik.“

„Na ja.“ Arthur ist skeptisch.

Im meinem Kopf entsteht ein gewaltiges Balagan, doch – infiziert vom Morbus Arthur Müller – kann ich mich nicht mehr beherrschen: „Die Familien von Romeo und Juliet“, sage ich, „sind ähnlich verfeindet wie die Knaxianer und Fetz Brauns faule Bande. Allerdings steht in diesem Fall das todgeweihte Liebespaar – also Didi und Dodo – auf der selben Seite, während Di und Dodi... Bürgerblut befleckt jedenfalls Bürgerhand.“

Doch während ich noch über Didi und Dodo, Dodi, Di und Dire Straits nachdenke, merke ich, wie ein Zittern durch den Körper meines Freundes geht. Wir sind dran. Arthurs persönlicher Bankberater, ein sympathischer Mann Ende dreißig, den mein Freund angeblich schon mal bei einem New Order-Konzert getroffen haben will, nickt uns aufmunternd zu. Den Telefonhörer in der Hand, deutet er mit einer entschuldigenden Geste auf zwei gemütliche Sessel, in die wir uns ganz unbeschwert fallen lassen. Arthur stellt seinen Schuhkarton auf dem Boden ab.

„Ich kann das nicht“, flüstert er, während der Herr von der Sparkasse noch telefoniert, „der Typ trägt eine Simpsons-Krawatte!“

Tatsächlich: Marges dunkelblau leuchtende Turmfrisur ist gut zu erkennen.

„Pokerface, bitte“, sage ich und nehme seine Hand. „Er wittert es, wenn du Angst vor ihm hast.“

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Was für ein dümmliches Geschwafel. Der Autor scheint der Mark Knopfler der Schriftsteller zu sein. Nur der Erfolg fehlt. Kommt vielleicht noch.