Samstag, 8. September 2007

Spandau Ballet

„Was ich haben will, das krieg’ ich nicht“, sagt Arthur und wirft noch ein Eurostück in den Flipper. „Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht.“

„Was hast du denn bestellt?“

„Ein Beck’s. Ein Beck’s vom Fass. Und was bringt sie mir? Ein Beck’s Gold. In der Flasche.“

„Das ist in der Tat eine Unverschämtheit“, sage ich.

„Ich will sofort zurück nach Israel.“ Der Flipper, ein Batman-Modell, gibt ein infernalisches Geräusch von sich. Mein Freund fährt fort: „Eine israelische Kellnerin hätte sich einen derartigen Fauxpas niemals erlaubt. Und selbst wenn, hätte sie mich garantiert nicht so vorwurfsvoll angeschaut. Berlin-Mitte ist wirklich das Allerletzte.“

„Ist das hier überhaupt noch Mitte?“ frage ich.

Wir befinden uns in jenem Teil der Stadt, der neuerdings unter dem armseligen Akronym NoTo firmiert: North of Torstraße. Eigentlich wollten wir frühstücken, doch Arthur frühstückt ja nie, außer im Breakfast Club, Tel Aviv. Zudem sieht das hier eher aus wie eine Eckkneipe, in der man ohnehin keine Croissants essen würde, auch wenn die Kellnerin eindeutig ein Mitte-Mädchen ist und die Goldvariante von Beck’s sich erschreckender Beliebtheit erfreut. Doch wo gibt es sonst schon noch einen Flipper? Der Flipper an sich teilt das Schicksal des Blauwals und des deutschen Volkes und ist, soviel steht fest, von der Auslöschung bedroht. Ein Fernseher läuft, tot und stumm. Ich bestelle einen Kaffee.

„Wie lange flipperst Du hier schon?“

„Seit heute morgen um neun“, erwidert Arthur. Sein Auge ist inzwischen dunkelgelb, die Schrammen sind immer noch gut zu erkennen.

„Hast du geschlafen?“

„Ich treffe mich morgen mit Charlotte“, sagt mein Freund.

„Was hat sie denn auf deine sms geantwortet?“

„Sie meinte nur, wir könnten ja vielleicht mal eine Bionade zusammen trinken gehen. Heute pennt sie bei Lulu.“

„Nachher spielt England gegen Israel“, sage ich. „Wembley wird wanken. Während du hier geflippert hast, war ich übrigens auf den ‚Kreuzberger Festlichen Tagen’.“

Tristesse totale: ein augenscheinlich vom Sofortzerfall bedrohter Jahrmarkt im Viktoriapark, um 10 Uhr morgens, im kalten Sprühregen. Der Park war leer. Alle Fahrgeschäfte standen still, nur ein paar türkische Kinder spielten mit den toten Autoscootern. Der Losverkäufer nahm einen großen Schluck Schnaps. Man konnte förmlich fühlen, wie dieser Jahrmarkt vor sich hinfaulte.

„Das Schaustellergewerbe ist – noch vor dem horizontalen – das elendigste Metier weit und breit“, schließe ich meinen Bericht. „Ich habe John Barry gehört und bin von Karussell zu Karussell gegangen. Im Regen.“

„Klingt romantisch.“

„Heute abend singt der Chor der Deutschen Bahn. Daran ist überhaupt nichts romantisch.“

„Vielleicht haben sie ‚Hatikva’ im Repertoire.“ Arthur lächelt sanft.

„Du hast recht“, sage ich, „Berlin ist die Hölle. Ich will auch zurück nach Tel Aviv.“

Mein Freund bestellt sich ein weiteres Bier.

„Hast du deine Annonce schon aufgegeben?“ will ich wissen.

„Ich muss mit dir reden.“

„Okay.“

„Wir sollten unbedingt noch mal über Chris de Burgh sprechen.“

„Auf gar keinen Fall.“ Ich muss unwillkürlich an die Toilette im Breakfast Club denken – zwei Quadratmeter, die ich in diesem Leben bitte nicht mehr wiedersehen möchte.

„Doch. Ich habe nachgedacht. Die New Romantics. Duran Duran und Lady Di.”

„Kannst du mal bitte mit dem Flippern aufhören?“

„‚Lady in Red’ war Dianas Lieblingslied.“ Arthur lässt sich nicht beirren. „Sie dachte sogar, Chris de Burgh hätte es für sie persönlich geschrieben. Hatte er aber gar nicht.“

„Wie ärgerlich. Seit wann interessierst du dich für Princess Diana?“

„Es ist jetzt genau zehn Jahre her, dass in den Straßen von Paris endlich wieder blaues Blut verschüttet wurde.“ Mein Freund will mit mir anstoßen, doch ich habe ja nur meinen Kaffee. „Damals waren wir beide fast noch Teenager. Da kann man sich schon mal einen kleinen Rückblick gestatten.“

„Von mir aus.“

„Diana ist für mich genau wie der Song ‚Lady in Red’ ein besonders abstoßendes Beispiel für diese so genannte Romantik, die gar keine ist. Im Gegenteil: Es ist eine falsche, gemeingefährliche Anti-Romantik, die die Köpfe und Herzen verklebt und nicht befreit.“

Ich weiß nicht, was mit Arthur los ist. Seit sein blutverklebter Kopf in der Jewish Princess-Bar auf den Tresen geknallt ist, verhält er sich einigermaßen bizarr. Geradezu unpostmodern, könnte man sagen.

„Warum redest du plötzlich immer von Romantik?“ frage ich ihn. „Wenn Tony Wilson und Factory romantisch sind, können Diana und Chris de Burgh es natürlich nicht sein. Schon weil es hier um Beton und Industrie geht und nicht um englische Gartenromantik.”

„Aber Dianas Lieblingsband waren Duran Duran. Die Speerspitze der New Romantics. Auf dem Rückflug habe ich einen Artikel gelesen, der schilderte, wie diese einsame, magersüchtige Prinzessin alleine und barfuss durch den Buckingham Palace tanzt, bevor sie es sich mit einem Fertiggericht vor dem Fernseher bequem macht. Und zu welcher Musik tanzt sie?“

„Duran Duran. Klar. Ich muss sagen, diese Szene wirkt auf mich schon fast wieder romantisch.“

„Na ja“, erwidert Arthur nachdenklich. „Die Bezeichnung New Romantics ist auf jeden Fall anmaßend. Nur weil man sich kostümiert und drei Stunden lang schminkt und föhnt, ist man noch lange nicht romantisch. Duran Duran. Spandau Ballet. Das sind doch alles Pornographen.“

„Der Name ‚Spandau Ballet’ ist übrigens gar nicht so beschissen, wie wir dachten.“

Arthur bittet die Kellnerin um Wechselgeld.

„Hörst du mir zu?“ Ich tippe ihn an. „In Wahrheit ist der Name eine Art Gegenstück zu ‚Joy Division’. Er bezieht sich nämlich auf das Spandauer Alliiertengefängnis, wo die in Nürnberg verurteilten Super-Nazis einsaßen.“

„Ernsthaft?“

„Ja. Und das so genannte ‚Spandau Ballet’ wurde immer dann aufgeführt, wenn sich mal wieder ein Häftling erhängt hatte. Er baumelte dann in seiner Zelle in der Luft, am Ende des Stricks, und tanzte eben das ‚Spandau Ballet’.“

Arthur starrt mich mit seinem Monsterauge an: „Das glaube ich nicht.“

„Musst du ja nicht. Rudolf Hess war der letzte Tänzer. Der einzige verbliebene Häftling in diesem riesigen Knast. Bis er sich aufgehängt hat.“

„Wie Ian Curtis“, murmelt mein müder Freund, während er weiterhin flippert und flippert. „Und Diana war die letzte Tänzerin in ihrem riesigen leeren Prinzessinnenpalast. The Princess Has Come Of Age. Vielleicht sollten wir da mal hinfahren. Nach Spandau.“

Ich schüttele den Kopf: „Da ist nichts mehr zu sehen. Nicht mal Ruinen. Das ganze Gebäude wurde praktisch pulverisiert und über der Nordsee verstreut. Damit kein Staubkorn übrigbleibt. Heute ist da nur eine Aldi-Filiale.“

„Vielleicht sollten wir trotzdem hinfahren. Dann gehen wir eben zu Aldi. Schön, dass wir wieder in Deutschland sind.“

„Wir sind in NoTo“, sage ich fröstelnd. „Ich glaube, ich nehme jetzt auch ein Bier.“

„Scheiße!“ Arthur tritt gegen das blinkende Spielgerät. „Kein Freispiel mehr!“

1 Kommentar:

Torte hat gesagt…

Ich bin jetzt 2 Jahre in Tel Aviv, und jedesmal wenn ich wieder mal Berlin besuche und in die Berufsdepressiven Gesichter schaue weiss ich warum Berlin nicht vermisse..... habt Ihr schon mal an Auswandern gedacht ? Man kann hier als Deutscher ganz gut leben... und den Rest habt Ihr selbst kennengelernt.
Grüsse aus Tel Aviv